DNA-Genealogie in der Praxis – eine Schnitzeljagd über 200 Jahre

Herr A. absolvierte einen genealogischen (sogenannten „autosomalen“) DNA-Test auf FamilyTreeDNA um mehr über seine Herkunft zu erfahren und eventuell auch neue Verwandte zu finden. Die Ergebnisse wurden unter anderem auch auf MyHeritage raufgeladen, um den Suchradius noch weiter zu vergrößern.

Nach kurzer Zeit stellt sich heraus, dass er auf MyHeritage recht hohe Übereinstimmungen („Matches“)  mit einer Reihe von Personen hat, die untereinander Geschwister, Cousins und Halbcousins sind, nennen wir sie „Familie M.“ Die Mitglieder der Familie M. haben einen gemeinsamen Großvater und zwei unterschiedliche Großmütter (deshalb der Halbcousin). Das höchste Match mit einem der Mitglieder der Familie M. beträgt knapp 200 cM, das entspricht etwa 3 % gemeinsamer DNA.

Es ist nicht möglich, aus der geteilten DNA direkt auf ein Verwandtschaftsverhältnis zu schließen, aber es ergeben sich doch gewisse Wahrscheinlichkeiten. Die Verwandtschaft sollte im Bereich von Cousins 2. Grades, eventuell auch 3. Grades zu finden sein. Es geht also um die Suche nach Geschwistern der Großeltern oder Urgroßeltern.

Die beiden Stammbäume, sowohl von Herrn A. als auch von Familie M., sind recht gut erforscht, was eigentlich ein Vorteil sein sollte. Allein: Es gibt keine gemeinsamen Vorfahren in diesem Bereich. Bleibt also nur die Suche nach Kuckuckskindern, oder?

Ein erster Hinweis: Die Großmutter väterlicherseits von Herrn A. stammt aus der Steiermark, ebenso, wie die Familie M. Ist sie vielleicht eine Halbschwester eines Großelternteiles von Familie M.? Die Großmutter von Familie M. kommt schon nicht in Frage, denn es handelt sich ja um zwei Großmütter, jene der Geschwister und Cousins und jene des Halbcousins. Mit beiden Seiten der Familie M. gibt es ja DNA-Matches.

Bleibt noch der Großvater, er könnte das Verbindungsglied sein. Das Problem: Herr A. hat noch ein weiteres hohes DNA-Match mit einem Cousin 2. Grades aus einer anderen Familie, und das kommt nachweislich vom Vater der Großmutter. Die Familie M. hat dieses Match aber nicht, daher scheidet diese Hypothese auch aus. Die Großmutter von Herrn A. und der Großvater von Familie M. können keine Halbgeschwister sein.

Der nächste Schritt ist logisch: Man muss mit der Suche eine Generation weiter zurück gehen.

Der Vater der Großmutter scheidet aus obigen Gründen aus, aber was ist mit ihrer Mutter? Sie kommt auch aus der Steiermark. Könnte also die Urgroßmutter von Herrn A. die Halbschwester eines Urgroßelternteils von Familie M. sein?

Damit dieses Szenario zutrifft, gibt es im Prinzip drei Möglichkeiten:

  1. Der Vater des Urgroßvaters von Familie M. ist auch der Vater der Urgroßmutter von Herrn A. Beide Väter sind bekannt, die Urgroßmutter von Herrn A. wäre also ein echtes Kuckuckskind.
  2. Der Vater der Urgroßmutter von Herrn A. ist auch der Vater des Urgroßvaters von Familie M. Auch diese Väter sind aber bekannt.
  3. Der Vater der Urgroßmutter von Herrn A. (nennen wir ihn Herrn N.) ist auch der Vater der Urgroßmutter von Familie M. Und dieser Vater ist tatsächlich unbekannt. Die Urgroßmutter von Familie M. war ein uneheliches Kind.

Alle drei Varianten sind – technisch gesehen – möglich. Aber praktisch kommen Kuckuckskinder tatsächlich sehr selten vor.

Noch aussagekräftiger wird die Geschichte, wenn man sich die Lebensdaten von Herrn N. ansieht: Seine erste Tochter, die Urgroßmutter von Herrn A., kam als uneheliches Kind zur Welt. Erst sieben Jahre später bekannte er sich zu ihr und heiratete ihre Mutter. „Legitimatio per matrimonio subsequens“ nannte man das damals, also Legitimation durch nachfolgende Ehe.

In den Jahren zwischen der Geburt der Tochter und der Heirat von Herrn N. kam die Urgroßmutter von Familie M. zur Welt. Zu ihr bekannte sich niemand, das Feld „Vater“ im Geburtenbuch blieb leer. Unter den obigen drei Varianten ist also die dritte die deutlich wahrscheinlichste, denn ein fehlender Vater kommt viel häufiger vor als ein falsch eingetragener.

Ob Herr N. aber wirklich der Ururgroßvater der Familie M. ist wird sich wahrscheinlich nicht mehr endgültig klären lassen. Die einzige Möglichkeit (die mir jetzt einfällt), um den „Kreis der Verdächtigen“ noch weiter einzugrenzen, wären weitere DNA-Tests von Nachkommen der Geschwister von Herrn N. Wenn diese sowohl mit Herrn A. als auch mit Familie M. matchen würden, dann wäre das ein starkes Indiz, dass tatsächlich Herr N. der gemeinsame Vorfahr der beiden Familien ist.

Selbst wenn man diese Verwandten finden würde und selbst wenn sie in einen Test einwilligen, wäre allerdings hier schon die Möglichkeit gegeben, dass „die Suppe zu dünn“ wird: Ein Nachweis gemeinsamer DNA zwischen Halbcousins 4. Grades ist nicht mehr zuverlässig möglich. Es kann sein, dass der Test auf beiden Seiten positiv ist, aber es muss nicht sein – selbst, wenn die Verwandtschaft „echt“ ist. In diesen Bereichen (wir reden hier über Vorfahren, die vor über 200 Jahren geboren wurden) stößt auch die DNA-Genealogie an ihre Grenzen.

Herr N. wird also künftig als „wahrscheinlicher Vater“ der Urgroßmutter von Familie M. im Stammbaum aufscheinen. Ein spannendes genealogisches Rätsel wurde gelöst. Wahrscheinlich. :-)

Titelbild: „The Shared cM Project“ by Blaine T. Bettinger, CC BY 4.0

Woher kommen meine Gene?

Im letzten Artikel auf diesem Blog verglich ich die Herkunftsschätzungen der Anbieter von DNA-Analysen. Die waren sich nur einig, dass ich von meiner Abstammung her Europäer bin, die Details sind umstritten. Der Fairness halber muss ich anmerken, dass sich die DNA-Herkunftsschätzungen auf Jahrhunderte (wenn nicht Jahrtausende) zurückliegende Wanderungsbewegungen beziehen, und nur in den seltensten Fällen auf die letzten paar Generationen.

Was aber sagt mein Stammbaum zu dieser Frage? Auch diese Antwort ist nicht eindeutig, denn sie hängt davon ab, wie weit man in die Vergangenheit schaut. Ich versuche diese Analyse sowohl auf regionaler Ebene, als auch, zusammenfassend, nach heutigen Staatsangehörigkeiten. Basis sind die Geburtsorte meiner Vorfahren.

0. Generation: Ich

Diese Frage ist leicht zu beantworten, denn ich wurde in Wien geboren.

100 % Wien


100 % Österreich

1. Generation: Meine Eltern

Meine Mutter wurde (eher durch einen historischen Zufall) in Steyr in Oberösterreich geboren, mein Vater in Wien.

50 % Oberösterreich
50 % Wien


100 % Österreich

2. Generation: Meine Großeltern

Meine väterlichen Großeltern kommen aus Osttirol respektive Sarajevo, meine mütterlichen aus Wien.

25 % Osttirol
25 % Sarajevo
50 % Wien


75 % Österreich
25 % Bosnien

3. Generation: Meine Urgroßeltern

Ab jetzt wird’s langsam unübersichtlich:

25,0 % Osttirol
12,5 % Mähren
37,5 % Wien
12,5 % Sachsen-Anhalt
12,5 % Niederösterreich


75,0 % Österreich
12,5 % Tschechien
12,5 % Deutschland

4. Generation: Meine Ururgroßeltern

37,5 % Wien
25,0 % Osttirol
12.5 % Niederösterreich
6,3 % Mähren
6,3 % Böhmen
6,3 % Aargau
6,3 % Westslowakei (damals bei Ungarn)


75,0 % Österreich
12,5 % Tschechien
6,3 % Schweiz
6,3 % Slowakei

5. Generation: Meine Urururgroßeltern

25,0 % Osttirol
34,4 % Böhmen
6,3 % Mähren
6,3 % Mährisch Schlesien
6,3 % Westslowakei (damals bei Ungarn)
6,3 % Aargau
3,1 % Wien
3,1 % Niederösterreich
3,1 % Oberösterreich
3,1 % Württemberg
3,1 % unbekannt


47,0 % Tschechien
34,3 % Österreich
6,3 % Slowakei
6,3 % Schweiz
3,1 % Deutschland
3,1 % unbekannt

Ab der 5. Generation ändert sich nicht mehr viel, denn  in den vorangegangenen Jahrhunderten lebten die Menschen weitgehend unverändert in ihren Dörfern. Aber wie ich schon eingangs bemerkte: Die Herkunftsschätzungen der Anbieter von DNA-Genealogie gehen ja noch viel weiter zurück, zum Teil Jahrtausende. Oft kann man in den einschlägigen Foren lesen: „Ich kenne meine Vorfahren, die kommen alle aus XY! Wieso behauptet MyHeritage, dass ich zu 25 % aus YZ stamme?“. Das ist die Antwort. Und sie ist eben auch nicht eindeutig, sondern hängt davon ab, wie weit man in die Vergangenheit blickt – mit traditioneller Stammbaumforschung oder DNA, am besten mit beiden.

Bildquelle: Geographicus Rare Antique Maps

DNA-Herkunftsschätzungen im Vergleich

Herkunftsschätzung für Michael Eisenriegler von Ancestry, 2021

Ich werde oft gefragt, ob die Herkunftsschätzungen aufgrund von DNA-Tests sinnvoll sind, und, wenn ja, welchen Anbieter ich empfehlen würde. Anstelle einer kurzen Antwort, hier ein kleiner Vergleich meiner eigenen Testergebnisse.

Kurzfassung für Eilige:

Die Anbieter sind sich weitgehend einig, dass meine Vorfahren fast zur Gänze aus Europa kommen. Woher in Europa, darin scheiden sich die Geister. Die unterschiedlichen Definitionen der Herkunftsgebiete erschweren die Vergleichbarkeit, das ist ein Teil der Erklärung.

23andMe sieht mich zum Beispiel zu 45,8 % als deutsch/französisch, Ancestry zu 48 % als deutsch. FamilyTreeDNA gesteht mir aber nur 12 % Zentraleuropa zu und MyHeritage hat mich zu 17,7 % in Nord- und Westeuropa.

Auch meine angeblichen italienischen Vorfahren schwanken zwischen 12,6 % bei 23andMe und 2 % bei Ancestry. Bei MyHeritage und FamilyTreeDNA kommt Italien dagegen überhaupt nicht vor.

Große Abweichungen gibt es auch bei der Herkunft vom Balkan: 50 % bei MyHeritage, 10 % bei Ancestry, max. 22 % bei FamilyTreeDNA und nur max. 0,2 % bei 23andMe. Offenbar besteht keine Einigkeit darin, wo der Balkan eigentlich beginnt … :-)

Einigermaßen einig sind sich die Anbieter hingegen bei meinen (bislang immer noch unbekannten) jüdischen Vorfahren: Die Schätzung meiner ashkenazi-Gene schwankt zwischen 2 und 4 %, nur FamilyTreeDNA hat die nicht identifizert. Nachdem ich allerdings bei allen Services tausende jüdische Matches habe kann ich davon ausgehen, dass sich FamilyTreeDNA hier irrt.

Conclusio:

Die Qualität der DNA-Herkunftsschätzungen ist enden wollend. Sie haben einen gewissen Unterhaltungswert und sie erlauben eine sehr grobe Einschätzung, woher man stammt. Will man also wissen, ob man in den letzten paar Generationen asiatische oder afrikanische Vorfahren hatte, und das Ergebnis ist 100 % Europa, dann kann man davon ausgehen, dass das nicht der Fall ist. Was ebenfalls gut funktioniert, ist die Identifikation von kleinen, genetisch gut abgrenzbaren Gruppen, wie etwa den Ashkenazi. Aber die Frage, woher in Europa die eigenen Vorfahren kommen, wird man so nicht zuverlässig klären können.

23andMe

Michael Eisenriegler ancestry composition accoring to 23andme.com as of Dec. 10, 2020

23andMe ist einer der ältesten Anbieter von DNA-Tests für Genealogie und Gesundheit. Laut deren „Ancestry Composition“ Report sind meine Gene zu

45,8 % deutsch/französisch
25,9 % osteuropäisch
15,1 % südeuropäisch
(davon zu 12,6 % italienisch, 0,2 % griechisch/Balkan und 2,3 % allgemein südeuropäisch)
2,1 % jüdisch (ashkenazi)
10,8 % unspezifisch europäisch
0,3 % levantinisch

Ancestry

Herkunftsschätzung für Michael Eisenriegler von Ancestry, 2021

Ancestry ist der mit Abstand größte Anbieter von Online-Genealogie-Dienstleistungen weltweit, allerdings hauptsächlich auf den US-Markt ausgerichtet. Deren „Ethnicity Estimate“ lautet:

48 % deutsch
30 % osteuropäisch und russisch
10 % Balkan
5 % dänisch und schwedisch
3 % europäisch jüdisch (=ashkenazi)
2 % norditalienisch
2 % schottisch

MyHeritage

Herkunftsschätzung Michael Eisenriegler MyHeritage 2021

MyHeritage ist der Platzhirsch für Online-Genealogie in Europa, stieg allerdings erst relativ spät in die DNA-Genealogie ein. Deren „Ethnizitätsschätzung“ ist wie folgt:

50 % Balkan
20,8 % irisch, schottisch und walisisch
17,7 % nord- und westeuropäisch
6,3 % iberisch
4,0 % jüdisch (ashkenazi)
1,2 % nordafrikanisch

FamilyTreeDNA

 

Herkunftsschätzung Michael Eisenriegler FTDNA 2020/21

FTDNA ist ein sehr spezialisierter Anbieter mit hohen wissenschaftlichen Ansprüchen. Insbesondere bieten sie auch eigene Tests, um die Herkunft der väterlichen Linie (yDNA) und der mütterlichen Linie (mtDNA) erforschen zu können. Unter „MyOrigins“ sehen sie meine Herkunft wie folgt:

24 % westslawisch
12 % ungarisch
22 % Griechenland und Balkan
10 % baskisch
2 % maltesisch
13 % irisch
12 % zentraleuropäisch
5 % skandinavisch
< 1 % beduinisch
< 1 % sephardisch jüdisch

Zwei kleinere Anbieter liste ich zusätzlich noch auf meiner Personal Relatives Finder-Seite.