Wie problematisch ist „problematisch“?

Das Moment Magazin veröffentlichte heute einen Beitrag auf Facebook zur Kritik des 20 Jahre alten Films „Tatsächlich… Liebe“ (im Original: „Love Actually“). Ich habe ein paar prinzipielle Gedanken dazu verfasst:

Ich glaube, was Linke meiner Generation in erster Linie stört ist, wenn uns jemand mit Absolutheitsanspruch erklären will, was „problematisch“ sei. Mir stellt es bei dieser Sprache sämtliche Nackenhaare auf, die war früher allenfalls bei maoistischen und trotzkistischen Gruppen in Gebrauch.

Ich finde das auch umso origineller, denn genau die Leute, die anderen erklären wollen, was problematisch ist, sind auch die, die sonst sehr hellhörig gegenüber „Mikroaggressionen“ und Gewalt in der Sprache sind. Aber wie gewalttätig kann Sprache noch werden, wenn man anderen Leuten den eigenen Absolutheitsanspruch überstülpen will? Wenn ich die Prinzipien gewaltfreier Kommunikation richtig verstanden habe, dann sollte man zumindest immer klarstellen, dass es sich um eine persönliche Meinung („Ich finde das problematisch“) und nicht um die absolute Wahrheit handelt.

Abgesehen davon: Was will man mit so einem Text erreichen, außer, dass man älteren Semestern ihre Kindheit ruiniert? Dass Jüngere nicht von den darin enthalteten Botschaften vergiftet und vom wahren Weg abgebracht werden? Auch dieser Aspekt erscheint mir etwas totalitär. Und die Inhalte, die für jüngere Leute wirklich „problematisch“ sind, finden sich wohl eher im heutigen TikTok und Insta als in 20 Jahre alten Schmachtfetzen.

Und, auch wenn es heutige junge Linke überraschen mag: Wir waren in unserer Jugend umzingelt von „problematischem“ Kulturgut, so, wie sämtliche Generationen der Menschheit vor uns. Wir haben sogar den Struwwelpeter in unseren Krabbelstuben überlebt, ohne davon traumatisiert zu werden und wir haben „Hatschi Bratschis Luftballon“ gelesen, ohne zu furchtbaren Rassisten zu werden. Wenn es die implizierte 1:1-Beziehung zwischen dem Konsum „problematischer“ Inhalte und der Vergiftung des Denkens geben würde, dann hätte es noch nie einen gesellschaftlichen Fortschritt gegeben – denn „früher“ waren praktisch alle Kulturgüter aus Eurer heutigen Sicht problematisch.

Zur Klarstellung: Das bedeutet nicht, dass ich alles, was „früher“ war gut und verteidigenswert finde (ich kenne auch den Film nicht, er ist mir völlig egal). Ich plädiere nur für etwas mehr Gelassenheit und etwas weniger Arroganz und Absolutheitsanspruch. Das würde auch dabei helfen, Allianzen über Generationen hinweg zu schmieden – denn keine Generation lässt sich von einer nachfolgenden die Heldinnen und Helden ihrer Kindheit madig machen – auch, wenn sie noch so „problematisch“ sind.

Bildnachweis: „problematisch“ by verbformen.de, CC BY-SA 4.0

 

Ahnenforschung in Österreich von MediaClan

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DNA-Genealogie in der Praxis – eine Schnitzeljagd über 200 Jahre

Herr A. absolvierte einen genealogischen (sogenannten „autosomalen“) DNA-Test auf FamilyTreeDNA um mehr über seine Herkunft zu erfahren und eventuell auch neue Verwandte zu finden. Die Ergebnisse wurden unter anderem auch auf MyHeritage raufgeladen, um den Suchradius noch weiter zu vergrößern.

Nach kurzer Zeit stellt sich heraus, dass er auf MyHeritage recht hohe Übereinstimmungen („Matches“)  mit einer Reihe von Personen hat, die untereinander Geschwister, Cousins und Halbcousins sind, nennen wir sie „Familie M.“ Die Mitglieder der Familie M. haben einen gemeinsamen Großvater und zwei unterschiedliche Großmütter (deshalb der Halbcousin). Das höchste Match mit einem der Mitglieder der Familie M. beträgt knapp 200 cM, das entspricht etwa 3 % gemeinsamer DNA.

Es ist nicht möglich, aus der geteilten DNA direkt auf ein Verwandtschaftsverhältnis zu schließen, aber es ergeben sich doch gewisse Wahrscheinlichkeiten. Die Verwandtschaft sollte im Bereich von Cousins 2. Grades, eventuell auch 3. Grades zu finden sein. Es geht also um die Suche nach Geschwistern der Großeltern oder Urgroßeltern.

Die beiden Stammbäume, sowohl von Herrn A. als auch von Familie M., sind recht gut erforscht, was eigentlich ein Vorteil sein sollte. Allein: Es gibt keine gemeinsamen Vorfahren in diesem Bereich. Bleibt also nur die Suche nach Kuckuckskindern, oder?

Ein erster Hinweis: Die Großmutter väterlicherseits von Herrn A. stammt aus der Steiermark, ebenso, wie die Familie M. Ist sie vielleicht eine Halbschwester eines Großelternteiles von Familie M.? Die Großmutter von Familie M. kommt schon nicht in Frage, denn es handelt sich ja um zwei Großmütter, jene der Geschwister und Cousins und jene des Halbcousins. Mit beiden Seiten der Familie M. gibt es ja DNA-Matches.

Bleibt noch der Großvater, er könnte das Verbindungsglied sein. Das Problem: Herr A. hat noch ein weiteres hohes DNA-Match mit einem Cousin 2. Grades aus einer anderen Familie, und das kommt nachweislich vom Vater der Großmutter. Die Familie M. hat dieses Match aber nicht, daher scheidet diese Hypothese auch aus. Die Großmutter von Herrn A. und der Großvater von Familie M. können keine Halbgeschwister sein.

Der nächste Schritt ist logisch: Man muss mit der Suche eine Generation weiter zurück gehen.

Der Vater der Großmutter scheidet aus obigen Gründen aus, aber was ist mit ihrer Mutter? Sie kommt auch aus der Steiermark. Könnte also die Urgroßmutter von Herrn A. die Halbschwester eines Urgroßelternteils von Familie M. sein?

Damit dieses Szenario zutrifft, gibt es im Prinzip drei Möglichkeiten:

  1. Der Vater des Urgroßvaters von Familie M. ist auch der Vater der Urgroßmutter von Herrn A. Beide Väter sind bekannt, die Urgroßmutter von Herrn A. wäre also ein echtes Kuckuckskind.
  2. Der Vater der Urgroßmutter von Herrn A. ist auch der Vater des Urgroßvaters von Familie M. Auch diese Väter sind aber bekannt.
  3. Der Vater der Urgroßmutter von Herrn A. (nennen wir ihn Herrn N.) ist auch der Vater der Urgroßmutter von Familie M. Und dieser Vater ist tatsächlich unbekannt. Die Urgroßmutter von Familie M. war ein uneheliches Kind.

Alle drei Varianten sind – technisch gesehen – möglich. Aber praktisch kommen Kuckuckskinder tatsächlich sehr selten vor.

Noch aussagekräftiger wird die Geschichte, wenn man sich die Lebensdaten von Herrn N. ansieht: Seine erste Tochter, die Urgroßmutter von Herrn A., kam als uneheliches Kind zur Welt. Erst sieben Jahre später bekannte er sich zu ihr und heiratete ihre Mutter. „Legitimatio per matrimonio subsequens“ nannte man das damals, also Legitimation durch nachfolgende Ehe.

In den Jahren zwischen der Geburt der Tochter und der Heirat von Herrn N. kam die Urgroßmutter von Familie M. zur Welt. Zu ihr bekannte sich niemand, das Feld „Vater“ im Geburtenbuch blieb leer. Unter den obigen drei Varianten ist also die dritte die deutlich wahrscheinlichste, denn ein fehlender Vater kommt viel häufiger vor als ein falsch eingetragener.

Ob Herr N. aber wirklich der Ururgroßvater der Familie M. ist wird sich wahrscheinlich nicht mehr endgültig klären lassen. Die einzige Möglichkeit (die mir jetzt einfällt), um den „Kreis der Verdächtigen“ noch weiter einzugrenzen, wären weitere DNA-Tests von Nachkommen der Geschwister von Herrn N. Wenn diese sowohl mit Herrn A. als auch mit Familie M. matchen würden, dann wäre das ein starkes Indiz, dass tatsächlich Herr N. der gemeinsame Vorfahr der beiden Familien ist.

Selbst wenn man diese Verwandten finden würde und selbst wenn sie in einen Test einwilligen, wäre allerdings hier schon die Möglichkeit gegeben, dass „die Suppe zu dünn“ wird: Ein Nachweis gemeinsamer DNA zwischen Halbcousins 4. Grades ist nicht mehr zuverlässig möglich. Es kann sein, dass der Test auf beiden Seiten positiv ist, aber es muss nicht sein – selbst, wenn die Verwandtschaft „echt“ ist. In diesen Bereichen (wir reden hier über Vorfahren, die vor über 200 Jahren geboren wurden) stößt auch die DNA-Genealogie an ihre Grenzen.

Herr N. wird also künftig als „wahrscheinlicher Vater“ der Urgroßmutter von Familie M. im Stammbaum aufscheinen. Ein spannendes genealogisches Rätsel wurde gelöst. Wahrscheinlich. :-)

Titelbild: „The Shared cM Project“ by Blaine T. Bettinger, CC BY 4.0