SPÖ-Rant, Teil 2 – Transparenz

Zum 1. Teil geht es hier.

2. Transparenz

Im Jahr 2012 war der erste Höhepunkt einer öffentlichen Debatte über Transparenz in ihren verschiedenen Facetten – Transparenz bei den Lebensläufen der Abgeordneten, Transparenz in den Handlungen des Staates (Informationsfreiheitsgesetz gibt es bis heute keines) und Transparenz in den Finanzen der Parteien.

Zähneknirschend beschlossen also die Koalitionsparteien der Regierung Faymann im Parteiengesetz 2012 einige Regelungen, die zumindest minimalen Einblick in die Gebarung der Parteien erlauben sollen – nur, damit sie die Sozialdemokratie postwendend konterkariert: Die klassischen Vorfeldorganisationen „Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen“ (FSG), der Pensionistenverband und einige andere verließen pro forma das Dach des Parteistatuts und entzogen sich damit den ohnehin dürftigen Transparenzregeln. An ihre Stelle traten Vereine mit so sonderbaren Namen wie „GewerkschafterInnen in der SPÖ“ und „Verein Arge Sechzig Plus“, die zwar kein Geld und keine Mitglieder haben, aber dafür auf den Parteitagen abstimmen und in die Gremien delegieren dürfen. Eine durchschaubare Farce.

Ein Treppenwitz als Anmerkung: Der Nationalrat beschloss im „freien Spiel der Kräfte“ im Sommer 2019 strenge Obergrenzen für Parteispenden, insbesondere, um damit die ÖVP und die NEOS zu ärgern. Der SPÖ-Klub bedachte aber anscheinend nicht, dass nun auch die „weggelegten“ Vorfeldorganisationen, wie die FSG, als ganz normale Spender gelten, und somit der Partei keine Wahlkampfveranstaltung mehr schenken dürfen, die das x-fache der Obergrenze von € 7.500,- kostet. Der politische Gegner freute sich diebisch über diese Unpässlichkeit mitten im Wahlkampf. Ist das nicht ein klarer Beweis für Instant Karma? :-)

Was die SPÖ dringend lernen muss: Solche Manöver sind für eine sozialdemokratische Partei potentiell tödlich, denn sie untergraben ihre Glaubwürdigkeit. Das ist ganz im Unterschied zu Rechtspopulisten, denn deren WählerInnen haben haben ganz andere Wahlmotive. Ob ein Donald Trump Dreck am Stecken hat oder nicht, ist für seinen Wahlerfolg völlig unerheblich. Für Linke gelten andere Maßstäbe, und zwar die strengsten.

Es ist also hoch an der Zeit, das Thema Transparenz – und in diesem Zusammenhang auch die Themen Sauberkeit und strukturelle Korruption – in der SPÖ neu zu verhandeln und schonungslos anzugehen. Die Partei muss sich neu aufstellen, und dazu ist eine wichtige Voraussetzung, solche Altlasten loszuwerden und für höchste Transparenz und maximale Sauberkeit in den eigenen Reihen zu sorgen. Sonst wird das nichts mit der Glaubwürdigkeit – und mit den Wählerstimmen.

Weiter zu Teil 3…

SPÖ-Rant, Teil 1 – Die Große Erzählung

Vorrede

Wenn man wissen will, was in der SPÖ schief läuft, dann ist für diese Analyse obiger Tweet ein guter Startpunkt. Ich habe vom 1. Mai 2016 noch „Werner, die Richtung stimmt!“ im Ohr, das war genauso jenseits. Aber was ist falsch an diesem Tweet?

Eine SPÖ, die auf „Themen setzen“ muss, hat eigentlich schon verloren. Das merkt man ganz deutlich in der Politik der letzten Monate. Ein Beispiel:

Ja, wir setzen irgendwie auf die Klimakrise. Aber erstens nicht zu stark, denn wir könnten die Pendler und die Gewerkschaft verärgern. Zweitens wissen wir ja auch, dass das „Thema“ eigentlich den Grünen gehört – und deshalb wollen wir das in Wirklichkeit gar nicht, müssen aber doch irgendwie. Und, wir haben bei den einzelnen Punkten zu diesem „Thema“, die dann herausgekommen sind, viele Vorsichten und Rücksichten zu nehmen, auf Partikularinteressen in- und außerhalb der Partei. Die einzigen konkreten Forderungen, die es dann ins Wahlprogramm geschafft haben, sind das „1-2-3 Klimaticket“ und die „Elektrifizierung von Bahnstrecken“. Der Rest ist unkonkretes Gelaber. Jeder weiß, dass weder diese beiden Maßnahmen noch das Gelaber unser Klima retten werden. Aber egal, wir wissen ohnehin, dass uns deshalb niemand wählt. Und so kam es dann auch.

Das eigentliche Problem ist aber das „Themen setzen“ an sich. Das muss man nämlich nur, wenn dem Wahlvolk nicht klar ist, wofür diese Partei steht, wofür ihre Mitglieder brennen. Symptomatisch dafür sind solche Sujets, die auf Facebook geschaltet wurden:

Eine Partei, die solche Kalendersprüche schaltet, hat sich eigentlich schon aufgegeben. Oder doch nicht?

Nach der Wahl ist vor der Wahl. Und vor der Wahl habe ich mich – im Unterschied zu einigen leider ziemlich undisziplinierten Genossen aus den Bundesländern – mit guten Ratschlägen zurückgehalten, wie es sich gehört. Aber jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um Vorschläge zu sammeln, was anders werden muss – und ein paar davon möchte ich beisteuern. Ich beschränke mich dabei absichtlich auf Dinge, von denen ich glaube, eine Ahnung zu haben. Here we go:

1. Die große Erzählung

Es ist eigentlich peinlich, das erwähnen zu müssen, aber wir alle wissen es: Der Sozialdemokratie ist ihre große Erzählung abhanden gekommen. Ja, natürlich, wir sind für gut und gegen böse, für den sozialen Zusammenhalt, gegen den Neoliberalismus, für die Gleichberechtigung und gegen schwarz/blau sowieso. Insbesondere gegen schwarz/blau. Aber das große Weltbild, die große Utopie kamen uns irgendwann einmal abhanden. Das hängt auch damit zusammen, dass sich die Linke spätestens seit 1968 in einem Spaltungsprozess befindet: Auf der einen Seite die kleinen Hackler, die ihren Lebensstil bewahren und ihr kleines Glück verwirklichen wollen, auf der anderen Seite die Bobos, die Erben der Hippies, denen Frauenpolitik, Schwule, Transsexuelle und – allgemein gesprochen – die Identitätspolitik wichtig ist. Diese beiden Gruppen driften auseinander und auch innerhalb der SPÖ verschärft sich dieser Konflikt seit Jahren. Dabei hat er sich ja fast schon von selbst gelöst: Die Hackler wählen seit Jahrzehnten die FPÖ (oder jetzt auch die ÖVP) und die Bobos wählen nun wieder die Grünen. Und dazwischen bleiben die Reste der SPÖ. Wenn die SPÖ nicht bald wieder zu einer gemeinsamen Erzählung kommt, warum es eine Linke braucht, die beide Gruppen in sich vereint, dann war es das mit der Sozialdemokratie.

Wir sollten also schleunigst überlegen, in welcher Welt wir leben wollen und wie diese funktionieren soll. Das mit der Weltrevolution wird ja wohl nichts mehr (und war auch nie so die Sache der SPÖ), aber was dann? Welchen Kapitalismus wollen wir? Welche Weltwirtschaft? Was bedeutet Solidarität heutzutage? Wie kann ein Wirtschaftssystem unter den Bedingungen der Klimawandels aussehen? In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Wohin zieht unsere neue Zeit?

Um Antworten auf diese Fragen zu geben, muss sich die Partei öffnen: Einerseits Leuten, die sich damit professionell beschäftigen, und die gibt es: WirtschaftswissenschafterInnen, PhilosophInnen, auch AutorInnen und KünstlerInnen u.v.a.m. Und andererseits ihrer eigenen Basis gegenüber, die schon seit Jahren nicht mehr gefragt wird – und wenn sie gefragt wird, wie zu CETA, dann ignoriert man sie gleich wieder. Die SPÖ hat in den letzten Jahrzehnten mehrere hunderttausend Mitglieder verloren. Die, die es noch gibt, sollte man vielleicht auch in solche Prozesse einbeziehen – und offen mit ihnen diskutieren. Damit am Ende eine überzeugende Erzählung steht, die eine Vision für beide „Fraktionen“ der Linken darstellt.

Wenn man diesen Prozess nicht bald angeht, dann kann man das mit der Politik auch gleich lassen. Und: Solche Papiere in Hinterzimmern zu erarbeiten funktioniert nicht, das wissen wir bereits. Die Große Erzählung kann nur aus der Mitte der Partei kommen und in einem transparenten Prozess entstehen. Und das sollte sie sehr bald.

Zum zweiten Teil geht es hier entlang.

Ist der „Fälschungsskandal“ der ÖVP auch wirklich einer?

Am 17. Juni 2019 lud die ÖVP um 8.31 Uhr kurzfristig für 10.30 Uhr zu einer Pressekonferenz mit Bundesparteiobmann Sebastian Kurz und Generalsekretär Karl Nehammer:

Video der Pressekonferenz auf der Facebook-Seite von Sebastian Kurz

Im Rahmen dieser Pressekonferenz wurde veröffentlicht, dass „ein Medium“ (heute weiß man, es war die „EU-Infothek“) die ÖVP vor wenigen Tagen informiert habe, dass es im Besitz eines Konvoluts von E-Mails zwischen Sebastian Kurz und Gernot Blümel vom Februar 2018 sei. Diese E-Mails würden irgendeine Art von Involvierung der ÖVP in den Ibiza-Skandal nahelegen – wenn sie echt wären.

Die ÖVP ließ daraufhin – anscheinend auf Basis abfotografierter Computerbildschirme – die Beratungsfirma Deloitte ein Gutachten erstellen, um zu beweisen, dass die E-Mails gefälscht seien.

Generalsekretär Nehammer fasste in der Pressekonferenz das Gutachten und eigene Recherchen der ÖVP zu einigen zentralen „Nachweisen“ zusammen, die beweisen sollen, dass diese E-Mails gefälscht sind. Im Netz – insbesondere auf Twitter – entstand daraufhin eine rege Debatte über die Validität dieser Beweise, die ich nun kurz darstellen möchte:

Das untersuchte Mail wurde am Montag, den 27. Februar 2018 versendet. Der Tag war aber tatsächlich ein Dienstag.

Twitter-User @e_radler hat dafür eine einfache Erklärung:

das Mo Di Problem kann entstehen wenn der Wochentag numerisch gespeichert ist und die Woche für die Rechner mal mit Sonntag, mal mit Montag beginnt.— E. ???? Radler (@e_radler) 18. Juni 2019

Von der Mail-Adresse (sebastian.kurz@wien.oevp.at) kann seit 10 Jahren kein Mail versandt werden.

Das Argument ist in keinster Weise stichhaltig. Jeder kann jede beliebige E-Mail-Adresse als Absenderadresse verwenden. So funktioniert das Internet.

Weiters führte Nehammer diese Behauptung als „Nachweis 5“ auch als Beleg dafür an, dass mit dieser Adresse keine Konversation stattgefunden haben könne. Als Empfangsadresse funktioniert sie nämlich schon, sagt auch Nehammer.

Als Zeitzone wurde im Mail die „Pacific Standard Time“ angegeben.

Das könnte ein klassischer Konfigurationsfehler am Rechner sein, kann jederzeit vorkommen.

Die IP-Adresse 92.51.182.1 gehöre nicht der ÖVP

Twitter-Kollege @Karli wies mich in einem privaten Chat darauf hin, dass der Provider, dem diese Adresse gehört (Host Europe), sehr wohl eine Geschäftsbeziehung mit der ÖVP habe. Die Website neuevolkspartei.wien liege beim selben Provider, sogar am selben IP-Adress-Block (92.51.182.37).

Daraufhin wurden wir vom ÖVP-Mitarbeiter @rupertreif darauf hingewiesen, dass neuevolkspartei.wien erst seit 2019 existiert. Allerdings haben wir in der Zwischenzeit festgestellt, dass einige andere Domains und Web Sites der ÖVP bei Host Europe liegen, zum Beispiel ist sebastiankurz.at dort seit 2017 registriert, wie eine WHOIS-Abfrage von soeben zeigt:

„Im Code“ erscheine das Datum 23.12.1830

Was Karl Nehammer meint, ist der sogenannte Thread-Index-Header. Dieser wird von manchen Systemen falsch interpretiert, was oft zu Datumsangeben um 1830 führt. Das Problem ist zum Beispiel hier dokumentiert.

Twitter-User @gregoa hat das auch im Selbstversuch dargestellt:

ich hab jetzt den von deloitte zitierten algorithmus von https://t.co/KLA7u2gMWg auf alle 273 mails in meiner exchange-inbox losgelassen. ergebnis: 66 davon stammen angeblich aus den 1830er-jahren. /cc @msulzbacher #kurzpk #kurzmails— gregor herrmann (@gregoa_) 17. Juni 2019

Fazit:

Alle fünf (bzw. eigentlich sechs) „Nachweise“, die Karl Nehammer auf der Pressekonferenz als solche benannte, sind keine. In Wirklichkeit sind es nicht einmal Indizien für eine Fälschung. Das bedeutet nicht, dass diese Mails gefälscht wären. Darüber lässt sich auf Basis der bisher freigegebenen Informationen keine seriöse Aussage treffen.

Disclaimer:

Das bessere Argument ist der Feind des schlechteren. Ich bin für weiterführende Hinweise und Gegenargumente hier im Kommentarbereich dankbar. Sollte auf Basis von Korrekturen oder neueren Erkenntnissen grundlegende Änderungen am obigen Text notwendig werden, so werde ich diesen gerne aktualisieren.