Eine Lanze für die DNA-Genealogie

Die Geschichte einer Familienzusammenführung

Anfang 2017 erhielt ich ein Mail von einem mir völlig unbekannten Verwandten aus den USA. Wir hatten ein hohes DNA-Match auf 23andme, über 200 Centimorgan. Nach kurzer Verwunderung und darauf folgender emsiger Recherche auf beiden Seiten des Atlantik wurde uns rasch klar:

Meine Urgroßmutter hatte eine um 17 Jahre jüngere Schwester, von der ich nichts wusste. Ihr Vater war anscheinend eine Art Maschinist bei Eisenbahnprojekten in ganz Europa, daher sind seine Spuren nur schwer zu verfolgen. Meine Urgroßmutter kam in Sachsen zur Welt, ihre Schwester in Kroatien. Ursprünglich stammt die Familie aber väterlicherseits aus Krombach (Krompach) in Nordböhmen und mütterlicherseits aus Zofingen im Aargau.

Diese Schwester meiner Urgroßmutter heiratete im Wien der Zwischenkriegszeit einen zum katholischen Glauben konvertierten jüdischen Musiker aus dem Baltikum. Die Familie musste Wien 1938 verlassen und emigrierte auf abenteuerlichen Wegen über den Balkan in die USA. Der kleine Sohn, der noch in Wien geboren wurde, wurde ein bekannter Gehirnchirurg. Derzeit unterstütze ich ihn bei seinem Herzenswunsch: Zu seinem Lebensende (er ist bald 90 Jahre alt) hätte er gerne die österreichische Staatsbürgerschaft zurück. Ein Wunsch, der hoffentlich noch in Erfüllung gehen wird.

Dessen Sohn ist ein erfolgreicher Unternehmer und seine Tochter ist meine quirlige acht Jahre alte Cousine dritten Grades, die ich bei unserem ersten Treffen sofort ins Herz geschlossen hatte. Die Familie will die Verbindung zu Österreich nicht abreissen lassen, die Kleine kommt daher jedes Jahr nach Wien um Deutsch zu lernen, das sie schon toll beherrscht.

All diesen wunderbaren Menschen wäre ich ohne DNA-Genealogie nie begegnet und ihre Geschichten hätte ich nie gehört. Jetzt sind sie Teil meines Lebens, und das ist gut so.

Illustration: A-DNA, B-DNA and Z-DNA.png (cropped) by Richard Wheeler (Zephyris), CC BY-SA 3.0

goschat! goes Mediencamp Vienna 2018

goschat! goes mediencamp

Wien, Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, März 2018:

Peter Adametz und ich starten mit unseren Studierenden ein Experiment: Wie wäre es, wenn wir mal versuchen, „guten“ Boulevard zu machen? Ein Blog, das das klassische Boulevard-Publikum als Zielgruppe hat. Mit dem Unterschied, dass …

Hier endet die Geschichte, wir wollen Euch ja die Spannung nicht nehmen. :-) Fortsetzung folgt: Am Mediencamp 2018, am 1. Dezember im Impact Hub Vienna – sofern dieser unser Vorschlag für eine Session auf Gegenliebe stößt!

Hier gibt’s mehr Infos zum Mediencamp

Nein, es geht nicht um Fakten. Es geht um Werte, Symbole und Identitäten.

Sorry, obwohl ich mich um eine kurze Argumentationskette bemühte, es wurde ein Longread. Aus Gründen der Lesbarkeit verzichtete ich auch auf allzuviele Referenzen oder gar wissenschaftliche Zitate. Wer Interesse an vertiefter Lektüre hat findet einige tolle Bücher im Anhang. Ansonsten freue ich mich über alle Rückmeldungen, Kritik und Ergänzungen hier im Blog, auf Facebook oder direkt an mich. Insbesondere freue ich mich über Menschen, die Lust haben, im Sinne der letzten beiden Absätze selbst aktiv zu werden und einen Beitrag zur Überwindung des Großen Grabens zu leisten. Denn die Spaltung der Gesellschaft, die wir jetzt erleben, sollten wir nicht länger hinnehmen.

Vorgeschichte

Die Geschichte des Rechtspopulismus in Österreich beginnt mehr oder weniger im Jahre 1968. Studentenbewegung und Hippies stellen die traditionellen Werte in Frage. Plötzlich geht es um die Gleichberechtigung der Frauen, um Demokratie, um Drogen, um Minderheiten. Das traditionelle patriarchale Weltbild verliert langsam an Kraft.

1970 gewinnt Kreisky erstmals die Mehrheit im Parlament, die traditionellen Werte wandeln sich weiter. Der Sozialstaat wird ausgebaut, das Bildungssystem wird egalitärer, Frauen erhalten mehr Rechte, sogar in der Kriminalpolitik dominiert nun der Grundsatz „helfen statt strafen“, Kreisky will die Gesellschaft „mit Demokratie durchfluten“.

Die Ära Kreisky dauert inklusive ihrer Verlängerung durch die kurze Ära Sinowatz bis 1986. Das Jahr 1986 brachte erstmals die Grünen ins Parlament, eine Entwicklung, die sich seit der Zwentendorf-Abstimmung 1978 und der Besetzung der Hainburger Au 1984 bereits länger abgezeichnet hatte. Mit dem Aufstieg der Grünen begann nun die zweite Welle jener 68er, die ihren Marsch durch die Institutionen antraten.

1986 übernimmt Jörg Haider auch die Führung der FPÖ und beginnt, die Republik nachhaltig zu verändern.

Die Freiheitliche Partei, die jahrzehntelang nur zwischen 5 und 6 % der Wählerstimmen verbuchen konnte, verdoppelte sich bereits 1986 auf 9,7 % und legte nun bei fast jeder Wahl weiter zu, bis sie 1999 mit 26,9 % der Stimmen erstmals die ÖVP knapp auf Platz 3 verdrängte. Auf diesem Niveau bewegt sie sich – mit Unterbrechungen – bis heute.

Haider wirkte jugendlich, war fesch, charismatisch und eloquent. Er war auch der erste Politiker, der offen über „Ausländer“ schimpfte, und er hatte bisweilen auch keine Berührungsängste zu den Altnazis in der FPÖ und sonstwo. Was aber war sein Erfolgsrezept und wovon zehrt die FPÖ bis heute? Dazu später mehr.

Der Große Graben

Seit 1986 sind mit der Haider-FPÖ einerseits und den Grünen andererseits also zwei gesellschaftliche Modelle mehr oder weniger in Reinkultur im Parlament vertreten: Der Neurolinguist George Lakoff  bezeichnet sie als das „strict father model“ und das „nurturant parent model“.

Das „strict father model“ (FPÖ) repräsentiert die patriarchale Nachkriegsordnung in Staat und Familie: Recht und Ordnung, Führung, Disziplin, Strafe und Belohnung und die Dominanz des übermächtigen Vaters (Parteiführers) charakterisieren dieses Modell. Das traditionelle Familienbild wird dadurch genauso beschrieben wie die politische Nachkriegsordnung. Frauen haben darin keine leitende Funktion.

Das „nurturant parent model“ (Grüne) ist das Gesellschafts- und Familienbild der 68er: Hier geht es um Werte wie Förderung, Unterstützung, Teilhabe, Anleitung, Partizipation, Autonomie und Schutz. Frauen sind gleichberechtigt in Familie und Staat. Wer scheitert, dem wird wieder aufgeholfen.

Die beiden traditionellen Großparteien, SPÖ und ÖVP, tragen wechselnde Anteile beider Modelle in sich, was bis heute immer wieder zu innerparteilichen Konflikten und inneren Widersprüchen führt. Die ÖVP tendiert mehr zum „strict father model“, die SPÖ eher zum „nurturant parent model“.

Diese beiden Gesellschaftsmodelle sind die Basis für die gesellschaftliche Spaltung, die wir heute in ganz Europa und den USA beobachten. Ich nenne diese Spaltung den Großen Graben.

Die eine Seite des Großen Grabens besteht also aus den Erben der 68er-Bewegung, die sich seit damals auch weiterentwickelte: Die rechtliche Gleichstellung der Frauen ist erledigt, die gesellschaftliche Gleichstellung ist zwar ein langsamer Prozess, aber doch auf Kurs. Parallel dazu traten auch andere Gruppen auf den Plan, die nun ihre Rechte einforderten und/oder zumindest in ihrer Benachteiligung anerkannt werden wollten: Schwule und Lesben, Trans- und Intersexuelle, Menschen mit Behinderungen, Menschen mit Migrationshintergrund u.v.a.m. Großveranstaltungen wie die Regenbogenparade oder der Life Ball und auch öffentliche Anerkennung, wie etwa der Sieg von Conchita im Eurovision Song Contest, machen diese Gruppen sichtbar. Dazu kommt eine immer höhere Aufmerksamkeit für die in den USA entstandene Identitätspolitik, die in den letzten Jahren neue Vokabeln, Ansprüche und Gebote („xy sagt man nicht mehr!“) in den gesellschaftlichen Diskurs brachte.

Die andere Seite dieses Großen Grabens bilden jene, denen die gesellschaftlichen Veränderungen zu schnell gehen und/oder die sich durch diese Änderungen bedroht fühlen. Es sind hauptsächlich kleinbürgerliche Millieus von Menschen, die ihren bescheidenen Wohlstand und vor allem ihren traditionellen Lebensstil bewahren wollen, die also nicht unbedingt am untersten Rand der Gesellschaft existieren. Sie fühlen sich aber nicht nur bedroht, sie fühlen sich von der Linken in ihrer Existenz auch nicht wertgeschätzt und permanent abgewertet. In ihrer Wahrnehmung dreht sich die Sorge der Gesellschaft nur noch um Flüchtlinge und andere Ausländer, um Frauen, die Karriere machen wollen, um Schwule, Behinderte, Transsexuelle, die in ihrer Lebensrealität praktisch nicht vorkommen. Um den heterosexuellen weißen Mann von der Peripherie oder vom Land, der gerne raucht und mit seinem Auto fährt, der seine Kleinfamilie gründen und sein Eigenheim bauen will, kümmert sich niemand, er wird auch nicht respektiert, so seine Wahrnehmung.

Jörg Haider hat diese Botschaft verstanden, viel früher als viele andere in Europa. Er verstand, dass es für Rechtspopulisten nicht um Fakten, um „seriöse“ Politik oder um persönliche Integrität geht, sondern um die Werthaltungen des „kleinen Mannes“, der dankbar ist, wenn man ihn nicht nur so sein lässt, wie er ist, sondern ihn auch noch dazu ermutigt.

Bis heute haben alle im Parlament vertretenen Parteien, bis auf eine, den Anspruch, die Gesellschaft erziehen zu wollen. Insbesondere natürlich die Grünen: Sie wollen, dass man den Müll trennt, mit dem Fahrrad fährt, auf das Auto verzichtet, Bio-Produkte kauft, weniger Fleisch isst. ÖVP und SPÖ wollen auch etwas, zum Beispiel, dass man aufhört zu rauchen, christliche Werte lebt und fleißig (ÖVP) oder aber sozial und mit allen möglichen Gruppen solidarisch ist (SPÖ). Die FPÖ aber sagt einem: „Du bist gut, so wie Du bist, wir haben Dich lieb, Du musst gar nichts!“ Deshalb funktionieren die  wichtigen Projekte der FPÖ vor allem auf symbolischer Ebene: Man darf schneller auf der Autobahn fahren, man darf immer noch im Wirtshaus rauchen. Die FPÖ hat in den Koalitionsverhandlungen viel riskiert, um das Rauchverbot kippen zu können. Es hat sich ausgezahlt, denn diese Botschaft an die Zielgruppe ist für sie unglaublich wertvoll.

Die gute, alte Zeit (1945-1968)

Im Sinne einer Anti-68er-Konterrevolution geht es aber für die FPÖ nicht nur darum, den status quo gegen allzuviele Neuerungen zu verteidigen, sondern sie will, zumindest ihrem Anspruch nach, zum status quo ante zurück, in die gute, alte Zeit der Rechtspopulisten zwischen 1945 und 1968. Das ist jene imaginierte Vergangenheit, in der die Welt noch in Ordnung war, in der der Mann noch etwas zählte und in der das vom Krieg (schuldlos!) geknechtete Volk noch zusammengestanden ist. Das Denkmal für die Trümmerfrauen, das die FPÖ am 1. Oktober 2018 in Wien enthüllte, ist ein gutes Beispiel für diese imaginierte Vergangenheit. Sämtliche seriösen WissenschafterInnen sind der Meinung, die „Trümmerfrauen“ sind primär ein ideologisch gefärbter Mythos der Nachkriegszeit und waren jedenfalls kein Massenphänomen. Aber Fakten sind irrelevant, es geht der FPÖ um die gute Erzählung. Und diese Erzählung haben Strache, Hofer und Kickl nicht nur von Haider gelernt, sie entwickeln sie auch meisterhaft laufend weiter.

Die Ausländer und die Medien

Ein anderer wichtiger Aspekt der guten, alten Zeit ist: Es gab keine Ausländer. Und die Alltagswahrnehmung zumindest der städtischen Bevölkerung in Österreich ist: Heute ist das ganz anders. Das Aussehen Wiens änderte sich in den letzten Jahrzehnten in rasender Geschwindigkeit. Frauen mit Kopftüchern prägen das Straßenbild vieler Außenbezirke, vielerorts wird türkisch, serbisch, arabisch oder sonstwas gesprochen, aber jedenfalls kein Wienerisch. Kinder mit Migrationshintergrund sind in vielen Schulen längst in der Überzahl und sogar an den Universitäten und aus den Spitzenpositionen der Industrie verdrängen die Piefke die Einheimischen.

Dazu kommt: Viele der Zugewanderten sind Muslime und der Islam als Religion und auch Ideologie wird oft als fremd und etwas unheimlich oder auch bedrohlich wahrgenommen.

Wenn also vor 1968, als es noch keine Ausländer gab, alles besser war, und jetzt so viele Ausländer hier sind, so die schlichte Erzählung der Rechtspopulisten, dann müsste doch alles besser werden, wenn es keine Ausländer mehr gäbe. Dass dies kein Zustand ist, der jemals wieder eintreten wird, ist aber selbst der FPÖ klar, und muss nicht weiter erläutert werden.

Hier beginnt aber das unselige Doppelpass-Spiel mit dem Boulevard und rechten Online-Medien, das in den letzten Jahren perfektioniert wurde. Die Ausländer seien nämlich nicht nur fremd, sondern auch kriminell, und daher eine Bedrohung, die Inländer sind die Opfer. Jede gute Sage braucht ein Körnchen Wahrheit um glaubhaft zu sein (das wussten schon die alten Griechen), denn tatsächlich gibt es ja kriminelle Ausländer. Das Doppelpass-Spiel besteht aber darin, das Problem von besagten Medien fortgesetzt und ohne Unterlass aufbauschen zu lassen und so ein ständiges Klima der Angst zu erzeugen. Die Rechtspopulisten sind dann die einzigen, die Rettung versprechen, denn sie sind ja gegen die Ausländer (den Islam, die Flüchtlinge, was auch immer) und versprechen einen strenge Politik gemäß dem „strict father model“.

Nicht unwesentliche Nebenbemerkung in diesem Zusammenhang: Dieser permanente Zustand der Angst ist das erwünschte Resultat, und nicht ein zufälliges Nebenprodukt. Denn nur, wenn das Volk in Angst ist, braucht es einen Erlöser, der ihm in Gestalt der FPÖ angeboten wird. Das ist wohl auch der Grund, warum die Anti-Ausländer-Rhetorik der FPÖ um einiges radikaler ist als ihre tatsächliche Politik. Denn würde sie die (vorgeblichen) Probleme, auf die sie ständig hinweist, wirklich lösen, dann müsste sich niemand mehr fürchten und ihr Alleinstellungsmerkmal wäre dahin. Tatsächlich zementiert sie den gefühlten Opferstatus ihrer Klientel nur ein.

Dazu kommt: Die Online-Krone und die Facebook-Seite von HC Strache sind heute kommunizierende Gefäße und ständig wechselseitige Lieferanten von Usern und Erregung. Dazu passend hat sich in den vergangenen Jahren ein dichtes Ökosystem rechter Online-Medien etabliert, die alle aufeinander verweisen und eifrig in Social Media geteilt werden. Zur Erklärung der Zustände helfen außerdem noch allerlei Verschwörungstheorien, wie etwa jene, dass George Soros mit Hilfe der EU die Umvolkung Europas plane. Solche Verschwörungstheorien sind ihrer Natur nach nicht widerlegbar, daher ist es auch sinnlos, darauf inhaltlich einzugehen. Es ist eine völlig selbstreferentielle Welt, die sich hier auf tut – eine Welt, in der die Ausländer und finstere Mächte an allem schuld sind.

Fakten, Werte und Worte

Die rechte und rechtspopulistische Medien- und Social Media-Maschinerie hat nicht nur Ausländer im Programm, auch, wenn diese das dominierende Thema sind. Sie betreiben seit Jahren ein kontinuierliches und äußerst erfolgreiches Framing von Kampfbegriffen, mit denen sie ihre LeserInnen gegen anderslautende Meinungen immunisieren. Zu diesen Aussagen gehören zum Beispiel:

  • “Wir sind das Volk”, oder auch: “Wir sind die schweigende Mehrheit”
  • “Die Mainstream-Medien sind die Lügenpresse”
  • “Die Herrschenden fälschen die Statistiken, wie sie sie brauchen”
  • “Wir sind die Opfer der Political Correctness/der Antifa/der Feministinnen/(…)”
  • “Die FPÖ vertritt die kleinen Leute!”

Da diese Aussagen selbstreferentiell sind, können sie auch nicht durch Fakten widerlegt werden, denn es sind die Fakten selbst, die strittig sind. Wenn jemand täglich mit dutzenden Nachrichten über “Ausländerkriminalität” bombardiert wird, dann ist der durch eine offizielle Kriminalitätsstatistik nicht zu beeindrucken, denn diese Statistik muss natürlich gefäscht sein. Hinter dieser Fäschung steckt wahlweise „das System“, George Soros oder die Illuminaten/Bilderberger, etc.

Aber selbst, wenn die Fakten nicht strittig wären, wäre trotzdem nicht sehr viel gewonnen. Die Wahlforschung wie auch die Studien von George Lakoff und KollegInnen zeigen uns, dass WählerInnen ihre Wahlentscheidungen nicht primär auf Basis ihrer ureigensten ökonomischen Interessen, sondern auf Basis der von dieser Partei gelebten Werte, treffen. Die Wählerinnen und Wähler wollen nicht unbedingt, dass die Partei ihres Vertrauens etwas für sie tut – sie wollen, dass sie das Richtige entsprechend ihrer Weltanschauung tut. Und diese Weltanschauung ist für die allermeisten rechtspopulistischen Wähler eben das „strict father model“ – auch wenn sie sich dadurch selbst schaden, etwa durch Kürzung der Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik – um nur ein Beispiel von vielen zu nehmen.

Aber nicht nur Fakten und Werte sind mittlerweile verhandelbar, auch einfache Worte sind auf beiden Seiten des Großen Grabens nicht mehr so eindeutig, wie man meinen könnte. So hat zum Beispiel der Begriff der „Gerechtigkeit“ im „nurturant parent model“ eine grundlegend andere Bedeutung als im „strict father model“. „Gerechtigkeit“ im Sinne der Grundwerte der SPÖ inkludiert Begriffe wie „Chancengleichheit“, „Recht auf Bildung“ und „Menschenrechte“. „Gerechtigkeit“ im Sinne eines prototypischen FPÖ-Wählers ist, wenn die Ausländer nicht mehr gegenüber den Inländern bevorzugt werden (wo auch immer das tatsächlich der Fall sein mag).

Status quo und Ausblick

In Österreich stützt sich die Koalition derzeit auf 57 % der Wählerstimmen (und das  – nach Umfragen – auch noch ein Jahr nach der Wahl!) und auch, wenn man nicht alle ÖVP-Wähler zu den Rechtspopulisten zählen kann, so teilt der Große Graben unser Land in mittlerweile zwei doch annähernd gleich große Blöcke. Erstmals gut sichtbar wurde diese Spaltung bei der Bundespräsidentenwahl 2016. Dazu kommt, dass ein immer größer werdender Teil der „anderen“ Seite des Grabens nicht mehr sehr viel von Demokratie hält: 26 % der über 15jährigen stimmen derzeit der Aussage “Man sollte einen starken Führer haben, der sich nicht um ein Parlament und Wahlen kümmern muss” zu.

Gängige politische Rezepte der Linken, wie eine fortschrittlichere Sozialpolitik zu machen oder gegen Ausländerfeindlichkeit aufzutreten sind eher hilflose Versuche einem Phänomen gegenüberzutreten, gegen das man seit über 30 Jahren kein Rezept gefunden hat – und das mittlerweile in ganz Europa und den USA verbreitet ist. Patentrezept, wie man das ändern könnte, habe ich natürlich auch keines. Noch dazu, wo der durch die 68er symbolisierte Wertewandel im Verhältnis zur Entwicklung der Menschheit in rasender Geschwindigkeit vor sich ging. Einige Jahrzehnte sind möglicherweise nicht genug, um alle Mitglieder einer Gesellschaft mit ins Boot zu holen und zu überzeugen, dass tausende Jahre der überlieferten gesellschaftlichen Ordnung nun vorbei seien. Der traditionalistische Backlash ist aus dieser Position nicht weiter verwunderlich.

Trotzdem sehe ich insbesondere zwei Ansatzpunkte, das Problem der Spaltung der Gesellschaft anzugehen:

Erstens: Wir brauchen progressive Medien (online und offline), die sich explizit an die andere Seite des Großen Grabens wenden. Die Dominanz der rechten Online-Medien im politischen Diskurs ist ja nicht nur deshalb so groß, weil die so gut sind, sondern vor allem, weil sie so viele sind und sich in ihrer Wirkung wechselseitig verstärken. Es geht auch um Sichtbarkeit anderer Inhalte und emanzipativer Werte, damit zumindest das Narrativ “Wir sind das Volk”/“Wir sind die schweigende Mehrheit” nicht unbestritten bleibt. „Unsere“ Seite des Großen Grabens hat es in den vergangenen Jahren schlicht verschlafen, eine eigene Medienlandschaft zu begründen. Das rächt sich jetzt.

Zweitens: Wir brauchen eine respektvolle und wertschätzende Kommunikation mit der anderen Seite des Großen Grabens. Das bedeutet nicht, dass sämtliche inhaltlichen Differenzen aufgehoben oder übertüncht werden müssen. Aber abgesehen von den Inhalten geht es auch darum, die Menschen an sich anzunehmen und mit ihnen in einen Dialog zu führen, der diesen Namen auch verdient. Wer andere Menschen ständig abwertet und in Wirklichkeit nur erziehen will braucht sich nicht wundern, wenn diese die einzige Partei wählen, die sie annimmt, so, wie sie sind. Dieser respektvolle Dialog ist auch ein Teil der Aufgaben der oben beschrieben Medien, aber nicht nur. Es ist ein Anspruch an alle diesseits des Großen Grabens, an alle, die diesen wieder zuschütten wollen.

Literatur:

George Lakoff: The All New Don’t Think of an Elephant: Know Your Values and Frame the Debate

Elisabeth Wehling: Politisches Framing: Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht

Arlie Russell Hochschild: Fremd in ihrem Land – Eine Reise ins Herz der amerikanischen Rechten

Kirstin Breitenfellner: Wir Opfer: Warum der Sündenbock unsere Kultur bestimmt

Bildnachweis: DSC09307.jpg by wiener_woelfchenCC BY-ND 2.0