Gustav Koczian (15.5.1877-12.7.1958) war vermutlich das schillerndste Kind der Familie, daher widme ich ihm an dieser Stelle ein umfangreicheres Kapitel.
Jugend und Militärdienst
Gustav besuchte fünf Klassen des Gymnasiums in seiner Heimatstadt Brünn und absolvierte anschließend „mit gutem Erfolg“ die Artillerie-Cadetten-Schule in Wien. Am 18. August 1898 trat er in die Armee ein, diente zunächst als Cadett-Offizier-Stellvertreter, ab 1899 als Leutnant und ab 1905 als Oberleutnant des Dragoner-Regiments Nr. 13 in Klattau (Klatovy). 1905/06 besuchte er die Kriegsschule in Wien, schloß diese allerdings aus unbekannten Gründen nicht ab und ließ sich 1906 oder 1907 in die Reserve versetzen. Seltsamerweise findet sich dazu kein Eintrag in seiner Militärakte. Die Boulevardpresse wird später mutmaßen, dass er sich aufgrund finanzieller Probleme die Generalstabsausbildung nicht weiter leisten konnte und deshalb selbst den Hut nahm.
Der Liebesroman der Prinzessin
Nach dem Ende seines aktiven Dienstes in der Armee arbeitete Gustav als Agent der Automobilfirma Benz in Wien und wurde von dieser nach Karlsbad entsandt, um den dortigen betuchten Kurgästen die neuesten Automodelle vorzuführen. Der 13. Mai 1907 sollte Gustavs Leben nachhaltig verändern, denn an diesem Tag kündigte er seine Wohnung in Wien VI., Pfauengasse 8 und empfahl sich nach Karlsbad.
Dort kümmerte er sich allerdings weniger um vermögende ältere Herren, sondern hauptsächlich um die 23 Jahre alte und bildhübsche Stiefschwester des Fürsten Fürstenberg, Amalie (genannt Amelie), Prinzessin von Fürstenberg (17.3.1884-18.2.1929). Amelie war Mitte Juni in Karlsbad zur Sommerfrische eingetroffen und wohnte gemeinsam mit ihrer Mutter Leontine und zwei Bediensteten im Hotel Savoy-Westend.
Gustav nahm die Prinzessin in seinem Automobil zu Ausfahrten in die Umgebung mit und es kam, wie es kommen musste. Die nun folgende Affäre wurde später unter dem Titel „Der Liebesroman der Prinzessin“ weltbekannt, von San Francisco bis Sydney überschlugen sich die Klatschspalten mit Neuigkeiten.
Zunächst war aber alles geheim, und zwar so geheim, dass nicht einmal die nächste Umgebung der Prinzessin etwas mitbekommen durfte. Nach dem Ende des Sommers sandten sich Gustav und Amelie heimlich Liebesbriefe, die Rolle des Postillon d’Amour übernahm dabei die Frau des Kochs der Familie Fürstenberg. Gustav hatte inzwischen seine Anstellung verloren und war nach Mannheim übersiedelt, wo er für die Rheinische Automobilgesellschaft arbeitete.
Im Mai 1908 (Amelie war inzwischen volljährig) raffte die Prinzessin ihren Schmuck zusammen und traf Gustav in einem Hotel in Wien-Landstraße um wenig später mit ihm, seiner Mutter und anscheinend auch seinem Anwalt gemeinsam mit der Bahn incognito in die Schweiz zu reisen. Das Paar legte außerdem noch einige falsche Fährten, denn die Familie ging zunächst davon aus, dass die beiden nach London oder auf die Isle of Wight wollten, um dort zu heiraten. Die Presse hatte von der Sache zwar mittlerweile Wind bekommen, die Gerüchteküche meinte aber, dass eine habsburgische Erzherzogin durchgebrannt war. Erst als Amelies Mutter die Botschaften in halb Europa verständigte und den beiden Polizei und Privatdetektive auf den Hals hetzte wusste man, um wen es sich wirklich handelte. Zwei Artikel aus dem Brünner Tagesboten vom 26.5.1908 stehen stellvertretend für viele andere in diesen Tagen: Morgenausgabe und Abendausgabe.
Was die Familie Fürstenberg von Gustav gehalten hat kann man den (nicht publizierten) Memoiren von Amelies Bruder entnehmen, die ich an dieser Stelle erstmals zitieren darf:
„Was war aber eigentlich dieser rätselhafte, über Nacht zu trauriger Berühmtheit gelangte Koczian, dessen Name allein einen so unerquicklichen Klang hatte? Im Sommer 1908 lernte Amelie ihn in Karlsbad kennen, wo er sie wahrscheinlich in einem unbewachten Momente ansprach, denn meine Mutter, die mit ihr war, hatte keine Kenntnis von dieser neuesten Acquisition. Amelie fand Gefallen an ihm trotz des Aussehens eines Kschwufes und den Allüren eines Hochstaplers. Koczian wiederum betrachtete Amelie als Haupttreffer und ging planmäßig daran, sie zu umgarnen und seinen dunklen Plänen gefügig zu machen. Er dachte sich, er müsse sie bekommen, koste es was es wolle, wenn nicht auf normalen Wege – schlau genug war er, um einen solchen angesichts des sicheren Protestes unserer Familie für wenig aussichtsreich zu halten – also um den Preis eines Skandals, wie man ihn noch nicht erlebt hatte, eines Hintertreppenromans; einerlei, wenn er nur triumphirte; wenn‘s sein mußte, ging er über Leichen, der Schuft!“
Die kleine Gruppe fuhr zuerst nach Zürich, wurde aber dort von einem Privatdetektiv erkannt und reiste nach Luzern weiter. Amelie nahm von dort aus Kontakt zu ihrer Familie auf um über die Einwilligung zur Heirat zu verhandeln. Ihr Bruder reiste daraufhin überstürzt in die Schweiz um im Namen der Familie diese Gespräche zu führen. Lassen wir ihn noch einmal zu Wort kommen:
„In den ersten Junitagen reiste ich nach Karlsruhe, kam dort mit Karl zusammen und fuhr mit ihm nach Luzern, um unsere Mission durchzuführen, deren Erfolg keineswegs sicherstand.
Wir gingen ins „Hotel du Lac“ und dort trat uns Amelie in ihrem Salon allein gegenüber. Eine Entrevue mit ihrem „Bräutigam“ hatten wir abgelehnt. Weiß wie eine Marmorstatue, eiskalt, äußerlich ruhig, die ungeheurere seelische Erregung unter Anspannung aller Nerven maskirend. Wir schilderten ihr die Verfassung unserer Mutter und baten sie, an ihr Mitleid appelirend, zu ihr zu kommen, um ihr das Aergste zu ersparen.
Amelie blieb anfangs unbeugsam, kam uns aber schließlich doch so weit entgegen, daß sie ihre Entscheidung von einer Besprechung mit „ihren Leuten“ abhängig machte. Nachmittag erschienen wir abermals im genannten Hotel und nach vieler Mühe gelang es uns, Amelie zu überreden, mit uns nach Karlsruhe zu fahren, wohin inzwischen meine Mutter in Begleitung von Max und Irma gekommen war. Auf das Mitfahren drangen wir mit gutem Grunde, denn, verließen wir Luzern ohne ihr, und war sie unserer Einwirkung entzogen, so konnte man nicht wissen, ob sie nicht im letzten Moment aussprang und uns einen Strich durch unsere Rechnung machen würde. Die Geschichte ging dann programmäßig. Koczian fuhr im selben Zuge aber unsichtbar mit.“
Es folgten Wochen hektischer Verhandlungen innerhalb der Familie bis schließlich klar war, dass die Hochzeit tatsächlich stattfinden würde, und zwar am 14. Juli 1908 auf der im Eigentum der Familie Khevenhüller stehenden Kammerburg (Komorní Hrádek) östlich von Prag. Um nochmals Amelies Bruder zu Wort kommen zu lassen:
„Verabredungsgemäß habe ich am Hochzeitstag in der Früh Koczian empfangen – früher durfte er nicht erscheinen – und habe ihm auseinandergesetzt, daß meine Mutter ihn mit einer Reitpeitsche empfangen und ihm alle nur erdenklichen Insulten an den Kopf werfen würde. Dies alles müsse er aber über sich ergehen lassen, ohne mit der Wimper zu zucken und ohne ein Wort zu seiner Verteidigung auszusprechen.“
Gustav durfte die Kammerburg nur durch den Dienstboteneingang betreten und auch seine Dragoneruniform erst kurz vor der Zeremonie anlegen. Die Boulevardpresse wusste außerdem später zu berichten, dass Amelie unmittelbar vor der Trauung von einem Familienmitglied gefragt wurde, ob sie denn schuld sein wolle am Tode ihrer Mutter. Daraufhin brach sie bewußtlos zusammen und musste, nachdem sie sich wieder gefangen hatte, auf ihrem Weg zum Altar gestützt werden. Mittlerweile hatten sich einige Schaulustige vor dem Schloß versammelt, und auch die wurden nicht enttäuscht: Gustav und Amelie küssten sich demonstrativ vor versammelter Menge und fuhren dann mit seinem Automobil davon.