Der nachfolgende Artikel, den ich gemeinsam mit Red Buddha-Mitbegründer Heinz Vettermann geschrieben habe, erschien in der Zeitschrift „Glocalist Magazine“, Ausgabe 36, April 2009.
Die gegenwärtige Wirtschaftskrise hat ihre Ursachen im Wesen des Kapitalismus selbst, das hat sich mittlerweile schon herumgesprochen. Kein Wunder also, daß der alte Marx gerade seine x-te Rennaissance erlebt. Was aber hat Buddha dazu beizutragen? Eine Gruppe sozialdemokratischer Buddhistinnen und Buddhisten, die sich in der Wiener SPÖ zu „Red Buddha“ zusammengeschlossen haben, bemüht sich um Antworten aus nicht ganz alltäglicher Perspektive.
Wer ist „schuld“?
Kaum hatte sich nach dem Untergang der „Lehman Brothers“ im Herbst letzten Jahres der Staub etwas gelegt, ging die Suche nach den Schuldigen los, und die waren schnell gefunden: Es seien die von Gier getriebenen Manager von Banken und Fonds, denen wir den aktuellen Schlammassel zu verdanken hätten. Der Chef des renommierten deutschen „Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo)“, Hans-Werner Sinn, ließ denn auch das dargebotene Fettnäpfchen nicht aus und verglich gleich mal die Schuldzuweisung an „die Juden“ im Gefolge der Wirtschaftskrise von 1929 mit der Kritik an „den Managern“ im Jahre 2008.
Als gelernter Marxist erkennt man natürlich sofort, daß die Verhältnisse so einfach nicht sind, weder in die eine noch in die andere Richtung:
Ein Manager ist einerseits ein Rädchen in einem Getriebe, in dem „Rendite“ (oder, etwas verklärender, der „Shareholder Value“) zur obersten Maxime des Handelns bestimmt wurden. Ein Manager, der sich diesem Anspruch auf „Gewinnmaximierung“ (um auch diesen schon eher altertümelnden Begriff zu verwenden) nicht unterwirft hat seinen Beruf verfehlt und wird von seinem Chef oder seinem Aufsichtsrat gefeuert. Aber auch die Vorstände und Aufsichtsräte handeln natürlich nicht unabhängig, sie vollziehen wiederum nur den Willen ihrer Eigentümer, und das können ja, wie im Falle der mächtigen und reichen US-Amerikanischen Pensionsfonds, in letzter Konsequenz durchaus auch „kleine Leute“ sein.
Auf der anderen Seite hat sich ein Manager natürlich seinen Beruf ausgesucht und hat im Normalfall auch keine tiefgreifenden ideologischen Probleme mit dem, was von ihm verlangt wird. Er treibt also, und ist gleichzeitig Getriebener.
Soweit also die, hier natürlich verkürzte Sichtweise auf das Geschehen. „Schuld“ ist also nicht ein „gieriger Kapitalist“ als prototypischer Bösewicht, sondern ein System, das zwar gewisse individuelle Schwankungsbreiten zulässt, aber trotzdem im Großen und Ganzen determiniert, wie Kapitalismus zu funktionieren hat.
Was aber hat Buddha damit zu tun?
Das Menschenbild des Kapitalismus baut darauf auf, dass das eigennützige Streben Einzelner auf wunderbare Weise zu einem Gesamtnutzen der Gesellschaft wird. Das impliziert also, daß „institutionalisierte Gier“ gewissermaßen die Triebfeder des menschlichen wirtschaftlichen Handelns darstellt. An dieser Stelle setzen dann oft Wirtschaftsethiker an und fordern die Wirtschaftstreibenden auf, doch mehr „ethisch zu handeln“, was ungefähr denselben Effekt hat, wie wenn man einem Fünfjährigen sagt, er soll den Pudding nicht so runterschlingen: Die Aufforderung „sei nicht so gierig“ hat in der Menschheitsgeschichte noch nie jemanden beeindruckt.
Anders verhält es sich aber, wenn man den Menschen anstelle moralisierender Aufforderungen mit klaren und logischen Argumenten darlegt, warum Gier für sie selbst schlecht ist, und nichts anderes hat Buddha getan. In langen Abhandlungen widmete er sich der Funktion der „Drei Geistesgifte“ Gier, Zorn und Unwissenheit für die menschliche Psyche und vor allem der Frage, warum gerade diese drei Emotionen Leid erzeugen und das Glück, das alle suchen, verhindern.
Was die Gier betrifft, so ist die einfache Antwort darauf, daß weder die Gier selbst, noch die Befriedigung der Gier glücklich machen, wie man selbst sehen kann, wenn man sich das Leben sehr reicher Menschen ansieht: sie sind meist immer noch damit beschäftigt, noch reicher zu werden und/oder das viele Spielzeug, das sie angehäuft haben, gegen Verlust oder Diebstahl zu verteidigen. Das Gefühl von „Glück“ entsteht paradoxerweise oft erst dann, wenn sie sich entschließen, ihren Reichtum zu verschenken, wie etwa in der „Bill and Melinda Gates Foundation“ oder dem „Open Society Institute“ des George Soros. Buddha definierte daher auch „Freigiebigkeit“ als erste der (je nach Zählweise) sechs oder zehn Paramitas, das sind jene Tugenden, die – in letzter Konsequenz – zur Befreiung führen.
Engagierter Buddhismus
Was bedeutet das aber nun auf gesellschaftlicher Ebene? Buddha hat einen Weg gelehrt, der das Individuum zur Befreiung führt. Er hat sich nur an sehr wenigen Stellen seiner 84.000 Lehrreden mit gesellschaftlichen Phänomenen befasst, am bekanntesten davon sind vielleicht die „Zehn Pflichten eines Königs“, die als Ratschläge für „Good Governance“ immer noch zeitlose Qualität besitzen. Die eigentliche Weiterentwicklung der Lehre Buddhas zu einer buddhistischen Soziallehre erfolgte aber erst in den letzten Jahren und entspricht vermutlich – analog zur Verbreitung des Buddhismus im Westen – dem Bedürfnis westlicher Menschen nach Erklärungen für gesellschaftliche Vorgänge und Phänomene. Am bekanntesten ist wohl das „International Network of Engaged Buddhists“, dessen prominenteste Vertreter der vietnamesischen Zen-Lehrer Thich Nhat Hanh und der Dalai Lama sind.
Die Theorie für diesen „Engagierten Buddhismus“ liefern Autoren wie der US-Amerikanische Zen-Meister David Loy mit seinem Buch „The Great Awakening“ oder die vielen in der Anthologie „Mindful Politics“ zu Wort kommenden Autorinnen und Autoren, die unterschiedlichste Wege und Ansätze vertreten, um die Lehre Buddhas auch auf gesellschaftlicher Ebene wirksam werden zu lassen. Allen gemeinsam ist aber die Erkenntnis, daß persönliche Entwicklung und gesellschaftliche Veränderung immer Hand in Hand gehen sollten. Und hier schließt sich der Kreis: Marx lehrte uns die Gesetzmäßigkeiten, nach denen der Kapitalismus funktioniert – und Buddha lehrt uns, warum die Geisteshaltungen, die diesen Gesetzmäßigkeiten zu Grunde liegen, sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene „unheilsam“ sind und wie sie überwunden werden können.
Bei der Sichtweise, wie Ursache und Wirkung die Entwicklung bedingen und daher bedingtes Entstehen und ständige Veränderung stattfinden, ist der Buddhismus der Dialektik zumindest nahe und ein Dialog möglich, da ein konservatives Beharren auf „alles soll so bleiben wie es ist“ bei beiden Denksystemen nicht vorkommt.
Ohne Verständnis und Einsicht in politische und persönliche Prozesse ist eine Reform und Beeinflussung der Gesellschaft nicht möglich und ohne soziale Empathie wird Politik kalt und technokratisch, oder wie wir BuddhistInnen sagen: Weisheit und Mitgefühl sind nicht zu trennen und sollen persönlich weiter entwickelt werden.
Wir versuchen also die BuddhistInnen an ihre gesellschaftliche Verantwortung zu erinnern und in der Politik auf den notwendigen Wert der persönlichen Entwicklung zu dringen. Nur wenn Achtsamkeit gelebt wird, wird sie auch in nachhaltigen politischen Prozessen angewandt werden.
Nachdem wir nicht missionieren sind wir offen für alle Interessierten, auch für jene, die nicht SPÖ-Mitglied sind und/oder noch keine buddhistische Zuflucht genommen haben und natürlich für alle buddhistischen Traditionen.
Michael Eisenriegler, Vorsitzender von Red Buddha, einer Arbeitsgruppe der Bildungsorganisation der Wiener SPÖ.
Heinz Vettermann, Wiener Gemeinderat und Landtagsabgeordneter (SPÖ).
Literatur und Links:
„The Great Awakening – a Buddhist Social Theory“ von David R. Loy, Wisdom Publications 2003
„Mindful Politics – A Buddhist Guide to Making the World a Better Place“, von Melvin McLeod (Hrsg.), Wisdom Publications 2006
International Network of Enganged Buddhists (INEB)
Engangierter Buddhismus
Siehe auch insbesondere: http://www.buddhanetz.org/texte/rahula.htm
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