Als wir 1992 die Black•Box als erste Online-Community Österreichs (damals als „Mailbox“, heute vergleichbar mit einem „Social Network“) eröffneten, war es eines unserer wichtigsten Prinzipien, dass sich unsere User ausschliesslich unter ihren echten Namen registrieren und äußern durften. Wir nannten es das „Real-Name-Prinzip“.
Viele Jahre lang überprüften ehrenamtliche und zeitweise auch bezahlte Admins und Moderators jede einzelne Registrierung. Wir sahen im Telefonbuch nach, ob eine Person dieses Namens existierte, wir wählten die Nummer, sprachen mit dem neugewonnenen User oder überprüften den Account zumindest auf eine gewisse Plausibilität. Für den Zugang zur Erotik-Ecke „Intimzone“ verlangten wir sogar eine Ausweiskopie per Post oder Fax als Altersnachweis (E-Mail-Adressen gab es damals genausowenig wie Scanner, zumindest nicht in privaten Haushalten). Der Aufwand, den wir trieben, war gewaltig, und trotzdem gelang es findigen Usern immer wieder, uns an der Nase herumzuführen. Manche Fake-Accounts erlangten sogar einen gewissen Kult-Status unter unseren Nutzern, viele (männliche) User chatteten gerne mit der lasziven Tamara Hofmann, bis heute ist unbekannt, wer sich dahinter verbarg. Vermutlich war es ein Mann.
Wenn jetzt, 22 Jahre später, die Granden der alten Medien Rosam, Rainer und Fellner unter dem Label „die Meinungsmutigen“ ernsthaft fordern, dass man im Netz nur noch unter seinem richtigen Namen posten dürfe, dann kann ich das leider nur unter „Probleme von Neuland“ subsumieren. Unabhängig davon, ob so eine Strategie sinnvoll ist (was ich aus heutiger Sicht bezweifle) hat sich offensichtlich niemand überlegt, wie die Überprüfung der Identität der User tatsächlich funktionieren soll.
An den Problemen, die wir damals in der Black•Box hatten, hat sich bis heute nichts geändert – außer die Userzahlen. Wenn der Standard also gezwungen würde, die Identität seiner hunderttausenden registrierten User zu überprüfen, dann hätte er einen x-fach höheren Aufwand als wir jemals hatten. 10 bis 20 Registrierungen pro Tag können womöglich noch bewältigt werden. Aber 100 oder 500? Und mit welchem Effekt? Gar keinem. Jeder, der unter einem Phantasienamen posten will, würde das auch weiterhin können. Die Namen würden vielleicht ein wenig plausibler klingen – aber das wäre schon alles. Und wenn Herr Fellner in der Presse ankündigt, ab Juni auf oe24.at die „Klarnamen“-Policy einzuführen, dann wünsche ich ihm viel Spaß dabei. Die Trolle werden ihre Freude mit ihm haben.
Aber gibt es wirklich keine Möglichkeit? Natürlich gibt’s die, immerhin haben wir ja schon die Bürgerkarte, und mit der wäre es auch für private Anbieter (zumindest theoretisch) möglich, die Identität ihrer User festzustellen. Aber natürlich nur für die, die eine haben – und in Österreich leben. Die Medien wären also gezwungen, ihre Foren für „Ausländer“ und Menschen ohne Bürgerkarte zu sperren. Politisch würde das in einer Demokratie wohl niemand überleben. Nicht einmal in China… (o.k., lassen wir das).
Mir würden noch ein paar absurde Gedankenexperimente dazu einfallen, aber ich mach’s kurz: Herr Rosam, es gibt keine sinnvolle Möglichkeit, die User der Online-Foren zur Verwendung ihres echten Namens zu zwingen. Punkt. Und wenn Sie es mir nicht glauben, dann fragen Sie bei Facebook nach, die versuchen das ebenfalls von Anfang an durchzuziehen, mit mäßigem Erfolg – ich selbst habe dort vier Accounts. :-) Der einzige Grund, warum die meisten User auf Facebook unter ihrem richtigen Namen auftreten ist einfach der, dass sie Facebook als ihr virtuelles Wohnzimmer betrachten und von ihren Freunden gefunden und erkannt werden wollen. Diese Motivation fällt bei den Forentrollen weg, das Gegenteil ist der Fall.
Also bitte, vergessen Sie den Blödsinn wieder.
Post Scriptum, bevor ich mißverstanden werde: Ich wollte mich hier nur auf die Machbarkeit konzentrieren. Zu anderen Aspekten des Vorschlags der „Meinungsmutigen“ empfehle ich zum Beispiel das großartige Posting von Ingrid Brodnig.
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