SPÖ-Rant, Teil 4 – Wachstum

Fortsetzung von Teil 3

4. Wachstum

Wenn eine politische Partei wächst und expandiert, dann wird jedes neue Mitglied mit offenen Armen empfangen, es ist ein Verbündeter auf dem gemeinsamen Weg. Gut zu beobachten ist das derzeit bei den Grünen.

Wenn eine Partei aber schrumpft, dann werden die verfügbaren Futtertröge tendenziell kleiner – denn die Partei hat weniger Mandate zu vergeben und kann weniger Geld ausgeben. Das führt zum paradoxen Phänomen, dass in solchen Organisationen neu Hinzukommende keine Verbündeten sind – sondern potenzielle Gegner im Kampf um die gerade noch verfügbaren Ressourcen. Es findet also schon in den unteren Ebenen der Parteihierarchie eine Negativauslese statt: Insbesondere neue Mitglieder mit gewinnendem Auftreten, die gut reden und andere überzeugen könnten, werden „klein gehalten“ oder am besten gleich wieder vergrault, denn sie könnten ja am eigenen Sessel sägen – egal, ob sie das subjektiv wollen, oder nicht. Diese Negativauslese setzt sich dann natürlich nach „oben“ hin fort, mit den unangenehmen Konsequenzen, die wir alle kennen.

Nachwuchsförderung findet konsequenterweise auch keine statt, denn junge Menschen sind natürlich eine noch größere Gefahr – sie haben oft unkonventionelle Ideen und sind zwar nicht erfahrener, aber leistungsfähiger und „hungriger“ als die Alten. Die aktuelle Demographie mit den immer noch übermächtigen Baby Boomern an den Schaltstellen der Macht tut das ihre zur Verstärkung dieser Phänomene. Im Ergebnis prägen dann die – fast sprichwörtlichen – überalterten SPÖ-Sektionen mit ihren unpolitischen Beschäftigungstherapien das Erscheinungsbild der SPÖ an der Basis.

Das sind natürlich allgemeine Beobachtungen und Prinzipien, zu denen ich jederzeit Beispiele bringen könnte. Es ist mir klar, dass es auch vereinzelte Gegenbeispiele gibt, denn die Partei und ihre Mitglieder sind kein monolithischer Block. Mir geht es aber darum, prinzipielle Strukturen und Funktionsweisen zu diskutieren, nicht Einzelfälle von da und dort.

Und dann gibt es noch ein Spezifikum der SPÖ, nämlich den ausgeprägten hauptamtlichen Apparat an ParteisekretärInnen. Sie haben innerhalb der Organisation überhaupt kein Eigeninteresse, ehrenamtliches Engagement zuzulassen oder gar zu fördern. Denn engagierte ehrenamtliche Aktivistinnen bedeuten zusätzliche Arbeit, sie bedeuten Kontrollverlust und sie gefährden die eigene Position: Ist das ehrenamtliche Engagement nämlich erfolgreich, dann muss sich der oder die hauptamtliche MitarbeiterIn die Frage gefallen lassen, warum er oder sie das nicht selbst getan hat. Ist das Engagement aber nicht erfolgreich, dann fällt es auf den Parteisekretär zurück, denn er/sie muss das verantworten.

Es gibt also viele gute organisationsdynamische Gründe, warum sich die SPÖ in einer Abwärtsspirale befindet und immer mehr Mitglieder, AktivistInnen und letztlich auch WählerInnen verliert. Diese Abwärtsspirale ist sicher nicht die einzige Schraube, an der dringend gedreht werden muss; aber ich denke, diese wurde noch nicht wirklich diskutiert.

Patentrezept, wie man diese Dynamik wieder umdrehen kann, habe auch ich keines. Immerhin läuft das jetzt schon seit Jahrzehnten so ab. Eine echte Organisationsreform muss dem jedenfalls entgegensteuern. Und die ist mehr als überfällig.

Hier geht es zum 5. und letzten Teil.

SPÖ-Rant, Teil 3 – Partizipation

Fortsetzung von Teil 2

3. Partizipation

Es ist ein fast gespenstischer Vorgang: Die SPÖ verliert das Vertrauen der Wähler in bis dato ungeahntem Ausmaß. Der Bundesgeschäftsführer tritt zerknirscht ab. Noch am selben Tag bestellt die Parteiführung einen Nachfolger, offenbar ohne ernsthafte Diskussion was schief gelaufen ist, was anders werden muss oder auch nur, welche Qualifikationen jetzt erforderlich wären.

Natürlich kann man argumentieren, dass es das gute (statutarisch aber nicht verbriefte!) Recht der Parteivorsitzenden ist, sich ihren engsten Mitarbeiter selbst auszusuchen. Aber ist das auch gescheit? Und wozu sitzen dann so viele Menschen in Vorstand und Präsidium? Wie viele Köpfe braucht man, um so eine einsame Entscheidung abzunicken?

Es ginge auch anders: Man stelle sich vor, die Vorsitzende wäre nach dem Abgang von Thomas Drozda vor die Presse getreten, hätte eine Nachdenkpause ausgerufen und Drozda gebeten, noch bis Weihnachten zu bleiben, während ein/e Nachfolge/in gesucht wird.

Daraufhin treten – noch zu diskutierende – Mechanismen innerparteilicher Demokratie in Kraft, zum Beispiel: Es werden Vorschläge für mögliche KandidatInnen gesammelt, diese werden eifrig diskutiert und in den Sektionen und Ortsorganisationen in geheimer Wahl abgestimmt. Übrig bleibt eine Shortlist der bestgereihten KandidatInnen, die sich zwei Wochen lang im Internet und in parteiinternen Townhall-Meetings vorstellen und ihre Konzepte diskutieren – untereinander und mit der Parteibasis. Zum Schluss wählt die Parteibasis in einer Urabstimmung den oder die neue/n BundesgeschäftsführerIn.

Was haben wir gewonnen? Wir aktivieren den gesamten Parteiapparat, führen wichtige Diskussionen, reden erstmal seit langem wieder mit der Basis und schaffen es so, die SPÖ schrittweise zu reformieren und zu re-politisieren.

Was haben wir verloren? Hinterzimmerentscheidungen als Schnellschüsse ohne Substanz.

Um nicht mißverstanden zu werden: Ich bin kein Freund von Basisdemokratie unter allen Umständen. Ich halte es für wichtig, dass in der Besetzung von Vorständen oder Wahllisten ein innerparteilicher Interessensausgleich stattfindet. Ich halte das für einen Vorteil gegenüber den bei den Grünen praktizierten Mehrheitsentscheidungen der Basis, denn die sind mit Interessensausgleich nicht kompatibel.

Dieses Argument gilt aber nicht für Spitzenpositionen auf allen Ebenen. Die Leitfigur bzw. der oder die leitende Angestellte sollte immer von der Basis gewählt werden, ich finde kein ernsthaftes Argument, das dagegen spricht. Egal, ob es sich um Landesparteivorsitzende, BezirksparteisekretärInnen, SpitzenkandidatInnen auf jeder Ebene oder um Frauenvorsitzende handelt: Die Spitze ist zu wichtig, um sie im kleinen Kreis auszumauscheln.

Und bei dieser Gelegenheit: Dieser Vorschlag lässt sich auch gut mit einem anderen Vorschlag zur Förderung von Frauen in Spitzenpositionen kombinieren, den ich vor einiger Zeit gemacht habe. Wann wäre denn die Zeit, innerparteilich neue Wege zu gehen, wenn nicht jetzt?

Post Scriptum: Ich wurde darauf hingewiesen, dass ein gekündigter Parteimanager besseres zu tun hätte, als weitere drei Monate „dead man walking“ zu spielen. Das ist natürlich völlig richtig. Man hätte ja zum Beispiel auch seine Stellvertreterin provisorisch mit seiner Nachfolge betrauen können. Das ändert nichts am Prinzip.

Zu Teil 4

SPÖ-Rant, Teil 2 – Transparenz

Zum 1. Teil geht es hier.

2. Transparenz

Im Jahr 2012 war der erste Höhepunkt einer öffentlichen Debatte über Transparenz in ihren verschiedenen Facetten – Transparenz bei den Lebensläufen der Abgeordneten, Transparenz in den Handlungen des Staates (Informationsfreiheitsgesetz gibt es bis heute keines) und Transparenz in den Finanzen der Parteien.

Zähneknirschend beschlossen also die Koalitionsparteien der Regierung Faymann im Parteiengesetz 2012 einige Regelungen, die zumindest minimalen Einblick in die Gebarung der Parteien erlauben sollen – nur, damit sie die Sozialdemokratie postwendend konterkariert: Die klassischen Vorfeldorganisationen „Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen“ (FSG), der Pensionistenverband und einige andere verließen pro forma das Dach des Parteistatuts und entzogen sich damit den ohnehin dürftigen Transparenzregeln. An ihre Stelle traten Vereine mit so sonderbaren Namen wie „GewerkschafterInnen in der SPÖ“ und „Verein Arge Sechzig Plus“, die zwar kein Geld und keine Mitglieder haben, aber dafür auf den Parteitagen abstimmen und in die Gremien delegieren dürfen. Eine durchschaubare Farce.

Ein Treppenwitz als Anmerkung: Der Nationalrat beschloss im „freien Spiel der Kräfte“ im Sommer 2019 strenge Obergrenzen für Parteispenden, insbesondere, um damit die ÖVP und die NEOS zu ärgern. Der SPÖ-Klub bedachte aber anscheinend nicht, dass nun auch die „weggelegten“ Vorfeldorganisationen, wie die FSG, als ganz normale Spender gelten, und somit der Partei keine Wahlkampfveranstaltung mehr schenken dürfen, die das x-fache der Obergrenze von € 7.500,- kostet. Der politische Gegner freute sich diebisch über diese Unpässlichkeit mitten im Wahlkampf. Ist das nicht ein klarer Beweis für Instant Karma? :-)

Was die SPÖ dringend lernen muss: Solche Manöver sind für eine sozialdemokratische Partei potentiell tödlich, denn sie untergraben ihre Glaubwürdigkeit. Das ist ganz im Unterschied zu Rechtspopulisten, denn deren WählerInnen haben haben ganz andere Wahlmotive. Ob ein Donald Trump Dreck am Stecken hat oder nicht, ist für seinen Wahlerfolg völlig unerheblich. Für Linke gelten andere Maßstäbe, und zwar die strengsten.

Es ist also hoch an der Zeit, das Thema Transparenz – und in diesem Zusammenhang auch die Themen Sauberkeit und strukturelle Korruption – in der SPÖ neu zu verhandeln und schonungslos anzugehen. Die Partei muss sich neu aufstellen, und dazu ist eine wichtige Voraussetzung, solche Altlasten loszuwerden und für höchste Transparenz und maximale Sauberkeit in den eigenen Reihen zu sorgen. Sonst wird das nichts mit der Glaubwürdigkeit – und mit den Wählerstimmen.

Weiter zu Teil 3…