Der Wählerwille

Wien, am Tag nach dem Verlust der Absoluten Mehrheit der SPÖ.

HC Strache meinte gestern im Nachwahl-Interview im ORF sinngemäß, daß eine rot/schwarze oder eine rot/grüne Koalition nicht dem Wählerwillen entspräche. Der Wähler wünsche eine Regierungsbeteiligung der FPÖ.

Woher nimmt er diese Weisheit? Ich weiß es nicht und ich bezweifle, daß er es weiß. Der „Wählerwille“ ist eine häufig nach Wahlen verwendete, fast mythologische Größe, die man sich je nach Standpunkt zurechtbiegen kann. Tatsache ist: Der Wähler wollte genau das, was er gewählt hat. Der SPÖ-Wähler wollte die SPÖ, der ÖVP-Wähler (auch wenn sich die Döblinger Regimenter im Rückzug befinden) wollte die ÖVP, usw. Den Wähler gibt’s nicht, und selbiges gilt natürlich auch für die Wählerin. In unserem Wahlsystem kann man in der Kabine nur eine Partei wählen (und mit Einschränkungen auch eine Person), aber jedenfalls keine Koalition. Diese Entscheidung wird „vom Wähler“ an die gewählten Mandatarinnen und Mandatare delegiert, und das ist auch gut so.

Trotzdem ist es natürlich sinnvoll sich anzusehen, wer da wen gewählt hat:

Die SPÖ hat sich innerhalb des Gürtels erstaunlich gut geschlagen. Beim jüngeren, urbanen und gebildeten Publikum sind ihre Botschaften offensichtlich weitaus besser angekommen, als bei den Pensionisten und bei den ehemaligen Kernwählerschichten in den Arbeiterbezirken. Auch gab es deutliche Wählerströme von den Grünen zur Sozialdemokratie, wohl mitverursacht von den innergrünen Streitereien im Vorfeld. Wienweit sind laut SORA immerhin 24.000 Stimmen von den Grünen zur SPÖ gewandert, das war schon mal ganz anders.

Das Bild in den bei weitem bevölkerungsreicheren Außenbezirken von Meidling bis Floridsdorf ist dem innerstädtischen Bobo-Idyll genau entgegengesetzt. Hier ist zwar die SPÖ auch noch immer deutlich stärkste Kraft, aber die Verluste in Richtung FPÖ sind gewaltig. Die Grünen und Schwarzen spielen dort genau keine Rolle, das Match spielt sich ausschließlich zwischen SPÖ und FPÖ ab, und die Abstände werden geringer (z.B. 48:37 in Simmering).

Daraus jetzt ableiten zu wollen (wie Strache es getan hat), daß der Wählerwille eine rot/blaue Koalition wünsche ist gewagt. Häupl hat seit Jahren immer wieder betont, er werde die FPÖ unter keinen Umständen in eine Koalition einbinden. Man darf also annehmen, daß dem Wahlvolk dies bekannt war und die Menschen ganz bewusst SPÖ oder FPÖ gewählt haben.

Bleiben also zwei andere Koalitionsvarianten, die in Frage kämen: rot/schwarz oder rot/grün. Mit beiden ist in Simmering oder Favoriten kein Staat zu machen. Die SPÖ wird also ihre verlorenen Kernwählerschäfchen so oder so aus eigener Kraft wieder zurückholen müssen. Und dafür ist, mit Verlaub, belanglos, ob das Wirtschaftsressort schwarz oder das Umweltressort grün ist.

Bleibt die Frage: Was ist vernünftiger?

Eine Koalition mit der ÖVP beinhaltet das unterschwellige Versprechen, daß es mit den Schwarzen weniger „Bröseln“ geben könnte als mit den Grünen. Die Wiener ÖVP ist zwar zahlenmäßig schwach aber immerhin organisatorisch gefestigt, und sie bringt als Bonus die Mehrheit in wichtigen Sozialpartner-Organisationen wie etwa der Wirtschaftskammer mit in die Ehe ein. Dazu kommt eine gleichfärbige Konstellation im Bund, was die Abstimmung der wesentlichen Politikfelder erleichtern dürfte. Auf der anderen Seite drohen fünf Jahre Stillstand und Langeweile, denn die Erfahrung lehrt uns, daß die ÖVP in sozialen Fragen und Bildungsthemen fast immer auf der Reformbremse steht und dafür in der sogenannten „Ausländerfrage“ gerne den Scharfmacher spielt (was ihr aber auch nichts genützt hat, q.e.d). Im günstigsten Fall ändert sich also mit der ÖVP nicht viel, im schlechtesten Fall kann sie es schaffen, wichtige Reformen zu verhindern und weiterhin das Spiel der rechten Hetzer zu spielen.

Eine Koalition mit den Grünen ist sicher die spannendere Aufgabe. Im Bildungs-, Sozial-, oder Umweltbereich können die Grünen wichtige Impulse einbringen. Dafür müsste die SPÖ etwas mehr Geduld mit den innergrünen Entscheidungsprozessen aufbringen und auch in Kauf nehmen, daß die fast sprichwörtliche Grüne Basis hin und wieder mal querschießt. Was aber letztlich viel stärker wiegt ist wieder das leidige Integrations- und „Ausländer“-Thema und das ist für die SPÖ eine überlebenswichtige Frage. Auch wenn die Grünen moralisch oft recht haben, auch wenn die SPÖ in den letzten Jahren zu stark in der Defensive war und sich von der FPÖ und der ÖVP immer wieder vorführen ließ: Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß das Thema beim „einfachen Volk“ überaus emotionalisiert ist und die Grünen (genausowenig wie die anderen Parteien) auch kein schlüssiges Konzept haben, diese Emotionalisierung in den Griff zu bekommen. Die Sündenböcke „Moslem“ und „Asylant“ sind schon geschaffen und es gibt viel zu viele Menschen, die daran glauben (und das sind nicht nur die, die tatsächlich die FPÖ gewählt haben).

Für die SPÖ wird in den Koalitionsverhandlungen entscheidend sein, ob die Grünen bereit sind, an einer Lösung dieses gordischen Knotens mitzuarbeiten. Einer Lösung, die die Ängste und Probleme der Menschen ernst nimmt, über moralisch erhobene Zeigefinger und multikulti-Platitüden weit hinausgeht und die Leute nicht noch mehr ins Lager der rechten Hetzer treibt. Für das Überleben der SPÖ als Massenpartei ist es jetzt unbedingt nötig, rasch zu glaubwürdigen und innovativen Konzepten zu kommen, denn sie muß in Favoriten und Simmering verlorenes Terrain zurückgewinnen. Die Grünen haben dieses Problem nicht und könnten es sich leisten, weiterhin am Rand zu stehen und moralisch im Recht zu sein. Aber dann wäre es für die SPÖ fahrlässig, eine solche Koalition einzugehen.

Michael Eisenriegler
Genealogie, (Online-)Medien, Journalismus, (Netz-)Politik, Mongolei, Buddhismus, Single Malts, Analogue Audio.

3 Kommentare

  1. 1. Was der Hatschi Rache in ein Mikrofon säuselt is mir ziemlich wurscht.
    2. Die „27-FPÖ-Prozente“ sind in echt (Nichtwähler und Ungültige mitgerechnet) 14,9 % Stimmenanteil, gemessen an der Gesamtbevölkerung natürlich noch viel geringer!
    3. Nicht jeder vierte auf der Strasse ist ein FPÖ-Wähler.
    Bei ca. 1,7 Millionen Einwohner ist fast genau jeder zehnte auf der Straße ein FPÖ-Wähler.
    4. Die Bobo-Bezirke sind medial interessant, für Wahlen fast völlig uninteressant (Mariahilf und Neubau haben jeweils ca. 10.000 GÜLTIGE Stimmen abgegeben. (Zum Vergleich nur EIN großer Gemeindebau in der Donaustadt hat ca. 10.000 Einwohner/geschätzte 5.000 Wahlberechtigte)
    5. Die Sprache von vielen in der Politik ist sehr entlarvend: es geht nicht darum gute Politik zu machen, die besseren Ideen zu haben, etwas weiter zu bringen FÜR die Leut‘ – sondern um das zurückgewinnen von Wählerstimmen, um’s sich besser verkaufen, mehr Mandate zu erreichen …

    1. zu 2.: ist also eh so wenig, da braucht man nicht nachzudenken? Wenn man die Prozente aller Parteien so betrachtete, dann würde die Relation ja doch gleichbleiben)

      zu 3.: stimmt, aber jeder 4., der es für richtig und notwendig gehalten hat, sich bzw. seiner Stimme Nachdruck zu verleihen

      zu 4.: was jetzt? zählen die abgegebenen Stimmen oder die möglichen Stimmen. Siehe Gegenübersetzung von 10.000 gültig abgegebenen Stimmen zu 5000 möglichen im Gemeindebau.

  2. Das Einzige, das jetzt nur noch stört, ist der Wähler. Das „einfache Volk“, eben das Gegenteil vom jungen, urbanen, gebildeten Volksgenossen. Die „Ewiggestrigen“, die „Bauern“, die „Ungebildeten“ – read: alle, die noch nicht effektiv genug, nicht früh genug, nicht lang genug gehirngewaschen wurden.

    Ganz pragmatisch betrachtet: jetzt nicht mit blau koalieren -> in 5 Jahren mindestens 30% blau.

    Und ganz fassungslos wird dann wieder vom „rechtsruck“ gefaselt werden, von noch mehr „Bildung“, noch innovativeren Konzepten…

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